Schwiegertöchter (German Edition)
den Stuhl zurückgeschoben und war aufgestanden. Rachel sagte: »Und bilde dir bloß nicht ein, ich hätte dieses Mittagessen einfach nur aus Spaß gemacht.« Anthony wartete ein oder zwei Sekunden, ob ihm irgendeine hilfreiche Erwiderung in den Sinn käme, aber das war nicht der Fall, und so war er aus der Küche und aus dem Haus und über den Kies in sein Atelier gegangen, um dort Trost bei einem 4B-Bleistift und dem Anblick seiner Hühner zu finden. Rachel kam ihm nicht hinterher. Er hatte es auch nicht erwartet.
Wahrscheinlich saß sie noch immer in der Küche und fühlte sich elend. Es war nie ihre Stärke gewesen, irgendwelche jähen Impulse zu unterdrücken und deren Energie in etwas Konstruktives umzuwandeln. Sie war eine Löwenmutter gewesen, als die Jungs klein waren, nicht unbedingt überfürsorglich, aber absolut voreingenommen, wenn ihnen auch nur die kleinste Ungerechtigkeit drohte, weshalb sich ihre Söhne zwar hundertprozentig auf sie verlassen konnten, aber Freundschaften mit anderen Müttern unmöglich waren. Es sei ihr egal gewesen, hatte sie oft zu Anthony gesagt, sie habe keine Freundinnen nur um der Freundschaft willen gebraucht. Sie war nicht interessiert an Menschen, die nicht begreifen konnten, dass ihre Jungs für sie instinktiv an erster Stelle kamen. Sie war verblüfft, erstaunt, zufrieden, drei Söhne zu haben, da sie selbst aus einer kleinen Familie kam und nur eine wesentlich ältere Schwester hatte. Von Edwards Geburt an war Rachel offensichtlich der Meinung, dass ihr als einer Mutter von Söhnen eine ganz besondere, irgendwie archaische Bedeutung zukam. Sie liebte diese Rolle und hatte danach gestrebt, ihr gerecht zu werden, indem sie auf jede übertriebene Weiblichkeit oder Launenhaftigkeit verzichtete, indem das Haus stets für sämtliche Freunde der Jungs offen war, indem sie ihren Söhnen während aller Veränderungen und Herausforderungen der Pubertät beistand. Aber Mädchen – die Mädchen ihrer Jungs – waren eine andere Geschichte. Sie forderten Loyalität von ihren Söhnen, so wie Rachel sie von Anthony erwartet – und bekommen – hatte. Sigrid und Petra hatten es aus unterschiedlichen Gründen geschafft, jeder Konfrontation darüber, wer zu wem gehörte, aus dem Weg zu gehen, aber mit Charlotte würde es nicht so einfach sein. Anthony seufzte und vervollständigte die brütende Henne, die er gerade zeichnete, durch ein hartes kleines Auge. Charlotte war es gewohnt, ihren Kopf durchzusetzen, wenn es um die Familie ging, und jetzt stand Luke dort an erster Stelle. Rachel würde zur Kenntnis nehmen müssen, dass ihre neueste Schwiegertochter nicht im Geringsten davor zurückschreckte, ihr die Stirn zu bieten.
Die Ateliertür ging auf. Es war ein warmer Tag, und normalerweise hätte Anthony die Tür angelehnt gelassen, aber wegen des Streits mit Rachel hatte er sie lieber zugemacht.
»Ich habe gerade mit Petra gesprochen«, sagte Rachel vom Türrahmen her.
Anthony drehte sich nicht um. »So?«
»Sie bringt morgen früh um halb neun die Jungs vorbei. Barney muss anscheinend von Brot ferngehalten werden. Er hat gestern einen halben Laib verschlungen, und sie sagt, sein Bauch sei so aufgebläht gewesen, als wäre er schwanger.«
»Er ist halt ein kleiner Vielfraß.«
Rachel kam geräuschlos über den Ziegelboden und betrachtete Anthonys Zeichnungen.
»Die sind großartig.«
»Gutes Motiv.«
»Ja«, sagte Rachel. »Ich frage mich, warum wir nie Hühner gehalten haben.«
»Wegen Mr Fuchs?«
»Vielleicht.«
Anthony zeichnete eine Henne im Lauf mit seitlich abgespreizten Beinen.
»Das trifft es genau«, sagte sie, als sie ihm dabei zusah.
»Sie können so komisch sein.«
»Ich mache mir im Moment nur Sorgen wegen Ralph.«
»Ich weiß«, sagte Anthony.
»Und du denkst, ich lasse es an Charlotte aus.«
»Hm.«
»Sie ist nicht besonders intelligent.«
»Das weißt du nicht.«
Rachel seufzte. »Luke ist so hin und weg von ihr, dass er nicht mehr klar denken kann.«
Anthony zeichnete weiter.
»Na ja«, sagte Rachel. Sie berührte leicht und flüchtig seinen Arm. »Jetzt kommen morgen erst mal die Jungs, und Ralphs Vorstellungsgespräch und ein freier Tag für Petra. Ein Glück, dass es Petra gibt.«
Anthony schattierte ein paar Halsfedern. »Ja«, sagte er. »Amen.«
Petra überlegte, dass sie wohl seit Kits Geburt nicht mehr in Minsmere gewesen war. Ralph hätte auf die Jungs aufgepasst, wenn sie hätte gehen wollen, und auch ihre Schwiegereltern, aber seit
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