Schwiegertöchter (German Edition)
Skizzenserie. Er war vor einigen Tagen an einem Cottage in der Nähe von Woodbridge vorbeigefahren und hatte davor auf einem verwahrlosten Grasfleck ein Dutzend Bantamhühner herumpicken sehen. Er hatte angehalten, an der Haustür geklopft und gefragt, ob er die Hühner eine Weile beobachten dürfe. Ein älteres Ehepaar hatte ihm geöffnet. Sie passten auf ihr kleines Enkelkind auf und hatten nur hastig »ja, ja, natürlich« gesagt, so als dürften sie sich keinen Augenblick von ihrer Aufgabe ablenken lassen, indem sie etwa Interesse an anderen Menschen zeigten. So war Anthony über einen ramponierten Drahtzaun geklettert und hatte sich mit seinem Skizzenblock neben die Bantamhühner gehockt, und die Vögel hatten brabbelnd und völlig unbeeindruckt um ihn herum in der Erde gepickt, als wäre er auch nicht bemerkenswerter als ein Baum.
Anthony hatte noch immer eine Kunstklasse. Auch wenn er nur noch an einem Tag in der Woche unterrichtete, mochte er es noch nicht ganz aufgeben und das Lehrerkapitel in seinem Leben endgültig zuschlagen. Es hatte sich gezeigt, dass für die ersten Zeichenstudien seiner Studenten zahme Vögel perfekte Modelle waren, weil sie kompakte Konturen hatten und ihre Bewegungen leichter zu verfolgen waren als bei Tieren, die so vielfältige Gestalt annehmen konnten wie etwa eine Schnepfe. Außerdem waren Hühner komisch und hatten Charakter und ließen einen nah an sich heran, so wie diese Bantamhühner, von denen einige direkt auf Anthony zugekommen waren. Ein besonders kühnes hatte sich seine Schnürsenkel vorgenommen, sie mit dem Schnabel gepackt und wieder fallen gelassen und dabei kleine ärgerliche Laute ausgestoßen. Jetzt, zurück im Atelier, arbeitete er an einer Reihe Skizzen, die er nach dem Sommer zur ersten Stunde des neuen Unterrichtsjahrs mitnehmen und als eine Art Eisbrecher herumreichen wollte.
In jedem Fall waren Hühner beruhigend. Sie waren weder romantisch noch wild oder freiheitsliebend wie seine geliebten Sumpfvögel, aber sie hatten so eine tröstliche Vertrautheit, und Trost war etwas, das Anthony an diesem Nachmittag nach einer unangenehmen Unterhaltung mit Rachel beim Mittagessen suchte. Eigentlich war es nur Mittagessen zeit und kein Mittagessen gewesen, denn obwohl Rachel einen ihrer köstlichen Salate mit Sprossen und Kapuzinerkresseblüten zubereitet hatte, war Anthony durch die Auseinandersetzung der Appetit darauf vergangen, und Rachels Essen zu verschmähen hatte natürlich alles nur noch schlimmer gemacht.
Angefangen hatte es damit, dass Anthony für Charlotte Partei ergriffen hatte. Rachel war empört darüber gewesen, dass ein Wochenende in Suffolk dahin war und sie stattdessen für ein amateurhaft gekochtes Mittagessen in einer beengten Wohnung die anstrengende, unerwünschte und völlig unnötige Fahrt nach London auf sich nehmen mussten, wo dann auch noch die trendig heruntergekommene Gegend bewundert werden sollte, in der zu leben sich Luke und Charlotte unbegreiflicherweise entschlossen hatten. Anthony hatte dazu nur sanft bemerkt: »Ich finde, wir sollten hinfahren.«
»Was?«
»Ich finde, wir sollten begeistert annehmen und mit Freude hinfahren.«
»Du bist verrückt …«
»Nein«, sagte Anthony. Er betrachtete den Salat, der dekorativ und farbenfroh in einer Keramikschüssel vor ihm stand, und sah sich plötzlich außerstande, ihn zu essen. »Sie möchten vor uns ein bisschen angeben mit der Wohnung, sie wollen uns zeigen …«
»Ich hab die Wohnung gesehen«, unterbrach Rachel ihn ungehalten. »Ich hab sie gesehen, gleich nachdem Luke sie gefunden hatte …«
»… wo sie jetzt leben, ihr erstes gemeinsames Zuhause als Ehepaar, und sie möchten damit angeben.«
Rachel erwiderte nichts. Sie holte ein afrikanisches Salatbesteck aus schwarzem Holz aus einer Schublade und knallte es vor Anthony auf den Tisch.
»Sie möchten sich als Ehepaar zeigen«, sagte Anthony. »Sie möchten ernst genommen werden, jetzt, da sie verheiratet sind.«
»Du meinst, sie will es …«
»Möglich. Was dich betrifft, ist das sehr wohl möglich.«
»Soll heißen?«, fragte Rachel lauernd.
»Das soll heißen, dass Charlotte deiner Meinung nach nicht im Mindesten begreift, was für ein Glück sie hat«, sagte Anthony nun ohne Zurückhaltung.
Rachel holte tief Luft. Sie setzte sich Anthony gegenüber an den Tisch und starrte wütend auf den Salat statt auf Anthony, als sie sagte: »Du bist ein alter Narr . Nur weil sie hübsch ist.«
Daraufhin hatte Anthony
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