Schwiegertöchter (German Edition)
Gefühl, plötzlich in einer unermesslichen Weite leuchtend blauer Luft zu schweben. Vollgesogen mit dieser Freiheit und Energie und der Aussicht, wieder etwas zu leisten, könnte er sich an den Wochenenden auf ein einigermaßen unattraktives Haus beschränken. Immerhin hatte es dreißig Meter Garten. In Aldeburgh gab es nur einen schmuddeligen kleinen Hof, der auf eine mit Kieseln verputzte Garagenwand blickte. Dreißig Meter Garten reichten aus, um Ball zu spielen und mehr Gemüse als im Schrebergarten anzubauen.
Er legte Petra die ausgedruckte E-Mail hin. »Was hältst du davon?«
Petra vertiefte sich in das Blatt. »Ganz okay …«
»Ist nur sieben Minuten zu Fuß vom Bahnhof entfernt.«
Petra nickte. Sie wandte sich ab und hob ihren Korb hoch. Es lagen neue Kartoffeln darin, weißgelblich, so groß wie Walnüsse.
»Es hat einen dreißig Meter tiefen Garten«, sagte Ralph. »Für ein Fußballtor und Gemüse. Geht nach Süden.«
Petra schüttete die Kartoffeln ins Spülbecken. »Schön«, sagte sie.
»Willst du ein Bier?«
»Nein danke.«
»Es ist nicht besonders schön, ich weiß, aber die Lage ist perfekt. Schulen, Bahnhof, alles.«
Petra ließ Wasser ins Becken laufen. »Hast du den Kindern gute Nacht gesagt?«
»Ja«, sagte Ralph.
Petra drehte sich um. »Hast du nicht …«
»Okay«, gab Ralph zu. »Mach ich gleich.«
»Lass doch den Kram jetzt.«
»Ich hab nur gedacht …«
»Lass es«, wiederholte Petra. »Geh zu Kit. Er ist im Bett. Er wartet.«
Ralph stand auf. Petra bemerkte ein neues T-Shirt an ihm, das sie noch nie gesehen hatte. Es war strahlend weiß mit einem diskreten kleinen Logo auf der linken Brust. Und er hatte sich rasiert. Petra hatte ihn seit Monaten nicht mehr so sauber rasiert gesehen.
»Schatz, denk bitte mal darüber nach …«
Petra drehte sich wieder zur Spüle. Sie sagte: »Wir hatten dann schließlich doch noch einen sehr schönen Tag im Schrebergarten. Es war die reinste Erholung nach dem, was passiert war.«
Ralph hörte nicht zu. Er stand neben dem Tisch in seinem weißen Marken-T-Shirt und war in Gedanken meilenweit weg.
»Kit hat mich an den Haaren gezogen«, erzählte Petra, während sie die Kartoffeln im Becken herumrollte und die Erde abspülte. »Richtig doll. Ich meine, es hat wirklich wehgetan, so fest hat er daran gezogen. Ich weiß nicht, ob es Absicht war, vielleicht wollte er nur sehen, was passiert, wenn man jemandem Haare aus dem Kopf reißt, oder so, aber ich hab geschrien und ihn offensichtlich damit erschreckt, denn er ist zu Barney gerannt und hat ihn auch an den Haaren gezogen, und dann hat Barney geschrien. Also hab ich Barney auf den Arm genommen und gestreichelt und Kit ignoriert, und dann ist Barney wütend geworden, auf mich, weil ich Kit nicht bestraft habe. Was hätte ich tun sollen, was meinst du?«
»Hm?«, machte Ralph abwesend.
»Ich meine, es war klar, dass Barney Gerechtigkeit wollte«, sagte Petra. »Das konnte man eindeutig sehen, er wollte, dass ich – dass ich Kit ersteche, oder so was.«
Schweigen folgte. Als Ralph schließlich sprach, klang es wie aus weiter Ferne: »Das hättest du wohl kaum tun können, oder?«
Petra zog den Stöpsel aus dem Becken. »Ich habe Barney weiter getröstet, und dann hat Kit angefangen zu heulen. Er hat nicht mehr aufgehört, stundenlang, bis wir zum Schrebergarten gegangen sind. Dann war alles wieder gut.«
»Oh, prima«, sagte Ralph.
Petra nahm das Geschirrtuch, das über der Rückenlehne eines Stuhls hing. Sie schaute auf den E-Mail-Ausdruck auf dem Tisch und sagte: »Es gefällt mir nicht.«
»Was?«
»Ich werde dort nicht wohnen.«
Ralph schenkte ihr ein breites Lächeln. »Es ist ziemlich durchschnittlich, ich weiß. Wir finden bestimmt noch was anderes.«
»Ich werde nicht in Ipswich wohnen«, sagte Petra.
Ralph erklärte geduldig: »Ich muss in Bahnhofsnähe wohnen.«
Petra trocknete sich die Hände ab und legte das Tuch zurück über die Lehne. »Ich kann das nicht«, sagte sie.
Er starrte sie an. »Du kannst was nicht?«
»Ich kann das nicht«, wiederholte Petra. »Ich kann hier nicht weg. Ich kann nicht vom Meer weg.«
Kapitel 11
Charlottes Mutter saß mit einer Dahlie an ihrem Zeichentisch. Dahlien waren so dermaßen altmodisch, dass sie schon wieder im Trend zu sein schienen, schwer im Trend. Zumindest hatte Charlotte ihr das erzählt, als sie ihr am Tag zuvor einen üppigen knallbunten Strauß davon mitgebracht hatte, orange und dunkellila und hellrot und gelb.
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