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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Keener
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aus dem Kopf. Ich errechnete, dass sie vor Highschoolbeginn Sex gehabt haben musste, an einem warmen Sommerabend, unter Bäumen, womöglich dem Abend, an dem meine Eltern ihre Party gefeiert hatten, gar nicht so unähnlich.
    Mr Bingham schaltete mit einem Klicken den Tageslichtprojektor an. Die Wassermoleküle sahen aus wie Sportgeräte: runde Bälle, aus denen Stöcke ragten. Er erzählte uns, dass Moleküle, wenn sie erhitzt wurden, aufeinander schlugen und in einen Erregungszustand gerieten, was die Temperatur nur noch weiter steigen ließ und was wiederum erklärte, wie Flüssigkeit zu Gas wurde. Sophie zog einen Kamm aus ihrem Notizbuch, fuhr sich einmal damit durch die Haare und legte ihn dann wieder zurück. In der trockenen Oktoberluft stellten sich einzelne dünne Strähnen wieder auf.
    Das Klingeln läutete die Pause ein. Sophie und ich gingen zusammen zu Mr Giles Englischstunde, in der sich die Moleküle bis zum Gefrierzustand verlangsamten. Keiner der Schüler bewegte sich auf seinem Stuhl.
    Â«Gibt es unter euch jemanden, der den Geist von Hamlets Vater für echt hält?»
    Sophie schob mir einen Zettel zu.
    Ich glaube, Mr Gs Frau ist gestorben,
stand mit Bleistift darauf.
Er hat am zweiten Tag von ihr gesprochen. Er hat gesagt, Hamlet vermisst seine Mutter und er seine Frau.
    Traurig,
schrieb ich zurück.
    Mr Giles forderte mich auf, eine Passage vorzulesen, die der Geist sprach, was mir leicht fiel und anscheinend sehr einfühlsam wirkte. Aber genau genommen war ichdurch Vater einfach nur sehr vertraut mit Shakespeares gehobener Sprache.
    Â«Schon naht sich meine Stunde,
    Wo ich den schweflichten, qualvollen Flammen
    Mich übergeben muss.»
    Â«Gut, Sarah. Und jetzt möchte ich gern von dir hören, ob du den Geist für echt hältst?»
    Â«Ja. Ich glaube Hamlet. Ich glaube nicht, dass er ihn sich nur einbildet. Aber ich kann verstehen, dass manche Leute glauben, er hätte ihn sich ausgedacht.»
    Â«Dann glaubst du also an Geister?»
    Â«Mag sein.» Ich dachte an die nachts durchs Haus streunende Mrs Brenwald. Als ich Mr Giles so bebend vor der Klasse stehen sah, fragte ich mich erneut, ob ein Geist ihn bewohnte, oder ob sein Zittern Teil einer imaginierten Nervenerkrankung war. Genau wie Mrs Brenwald schien er ein Mensch zu sein, der keine E-Mails oder Anrufe bekam. Kinder hatte er ganz sicher auch keine.
    Als es zur Mittagspause klingelte, blieb ich an seinem Schreibtisch stehen.
    Â«Darf ich Sie etwas Persönliches fragen?»
    Â«Nicht, wenn es zu persönlich ist», sagte er freundlich. «Was möchtest du wissen?»
    Â«Haben Sie Kinder?»
    Er lächelte und stand langsam auf. «Drei Jungs, sie sind alle schon erwachsen und leben in anderen Bundesstaaten.»
    Â«Oh», sagte ich.
    Â«Auch Lehrer haben Kinder», sagte er schelmisch.
    Â«Ich weiß. Mein Vater ist College-Professor. Er unterrichtet Englische Literatur.»
    Â«Dann ist das die Erklärung. Für dein Alter scheinst du einen guten Zugang zu Shakespeare zu haben.»
    Die schwirrende Aufregung wegen der Mittagspause auf dem Gang reinigte die Luft. Der lange Gang füllte sich mit Massen von Schülern, die durcheinander rannten. Einzelne Stimmen aus der Menge waren ohrenbetäubend laut. Sophie und ich machten uns auf den Weg zur Cafeteria im Keller, vorbei an der Mädchentoilette, wo ich ein paar Stunden vorher gewesen war. Ich hielt nach Margaret Ausschau, konnte sie aber im Gedränge nicht sehen. Eine Clique jüdischer Mädchen ging an uns vorbei und winkte uns zu. Sie waren angezogen wie Sophie und ich, in aufeinander abgestimmten Röcken und Pullovern und weißen Blusen mit runden Ansteckern. Von den älteren Mädchen kannten mich einige wegen Peters Rockband. Er spielte auf Schulpartys. Allerdings sah ich ihn in der Schule kaum. Seine Unterrichtsstunden fanden in einem anderen Gebäudeflügel statt. Seine Mittagspause war zu einer anderen Zeit als meine.
    Das Schulgebäude hatte unzählige Anbauten, nicht gekennzeichnete Eingänge und Treppenhäuser. Ich hatte Geschichten über ein Unteruntergeschoss mit diversen Tunneln gehört, wo die Hausmeister rauchten und Sex hatten. Ich würde Margaret fragen. Sie kannte sich aus.
    Als wir uns der Cafeteria näherten, schlug uns auf dem Gang in heißen Dunstschwaden der feuchte Geruch von verkochtem Essen und schwitzendem Plastik entgegen. Ich

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