Schwimmen in der Nacht
dafür. Ich hattegesehen, wie
Miss
Delgarno neben Vater auf dem Sofa saÃ, als ob ihr Auftrag im Leben von nun an daraus bestünde, neben ihm Wache zu halten, aber ich vermutete, dass hinter ihrem Wachehalten sehr viel mehr steckte.
«Ich habe es keine Minute länger da unten ausgehalten, auch wenn ich mir vorstellen könnte, dass eure Mutter sich gefreut hätte, dass so viele Leute gekommen sind», sagte Kenneth.
Er zog zwei seltsam geformte Zigaretten hervor und reichte Peter eine davon.
Peter zündete ein Streichholz an und zog dann an der Zigarette, bis sie rot aufflackerte. Er nahm einen Zug, hielt die Luft an und stieà eine groÃe Wolke Marihuanarauch aus.
Er gab den Joint weiter an Kenneth, der dreimal daran zog. Kenneths Wangen blähten sich auf wie bei einem Trompeter. Er beugte sich vornüber und hustete wie verrückt.
«Wirklich gutes Zeug», sagte er. «Du verrätst das doch nicht, oder, schöne Frau?», fragte er und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
Er wusste, dass ich das nicht tun würde.
Schon bald darauf streckte mich die Müdigkeit nieder. Ich legte mich aufs Bett und hörte Peter und Kenneth zu, die sich über die Musikszene in San Francisco unterhielten. Der Klang ihrer Stimmen wurde mal lauter, mal leiser, mal beides, als würde ich sie über einen Verstärker hören und ein Unsichtbarer die ganze Zeit am Regler drehen.
Mitten in der Nacht erwachte ich im Schlafzimmer meiner Tante, das unterm Dach lag. Das Zimmer rochnach alter Tapete, ein schaler Geruch nach Kleister, Gipsplatten und Heizungsluft. Ich hatte noch immer die Sachen von der Beerdigung an, einen schwarzen Rock und schwarzen Pulli, die ich sonst nur bei Chorauftritten anzog.
Ich wusste nicht, was aus uns werden sollte. Ich schluchzte, umklammerte das Kissen und rollte mich wie ein Embryo zusammen, im Versuch, ihre unverzichtbare Gegenwart mit aller Kraft in mich hineinzupressen. Ich hatte sie für immer verloren. Mutter war ohne mich in ein gröÃeres Licht geglitten.
12. Kapitel
Fluchtweg
Nach einer Woche ging ich wieder zur Schule, ich wusste nicht, was mich erwartete, und hielt meine Bücher auf andere Art aufgeregt und ängstlich an die Brust gepresst, als ich diesmal an der Stadtbibliothek und am Five & Dime vorbeikam. Alles war anders.
Mein Herz setzte kurz aus, als ich das Schulgelände erreichte. Ich sah Anthony mit einer Gruppe Jungen am Zaun stehen und rauchen.
«Du siehst gut aus, Sarah», sagte er leise, während er sich wie zum Schutz an der Zigarette festhielt.
Ich atmete seinen Rauch ein und versuchte zu lächeln, als ich an ihm vorbeiging und mir irgendwie wünschte, er würde mich ins Schulgebäude begleiten, was er aber nicht tat. Drinnen auf den Gängen herrschte wildes Gedränge. Schuhe trampelten über den Boden. Ich ging durch die schweren Flügeltüren und atmete den typischen Geruch des Gebäudes nach warmer Farbe und feuchten Dämpfen ein. Das erste Klingelzeichen ertönte. Der kräftige anonyme Klang katapultierte mich unmittelbar zurück in den gewohnten Ablauf. Während der Anwesenheitsüberprüfung hielt ich nach Margaret Ausschau, aber ihr Platz blieb leer. Mr Giles begann, die einzelnen Namen aufzurufen. Als ich an der Reihe war, ruhte sein Blick gerade so lange auf mir, dass ich merkte, dass er Bescheid wusste. Ich wollte nicht, dass es so war.Ich wollte dieses schreckliche Gefühl auslöschen. Wollte, dass es wieder normal war, aufhörte.
Mr Giles sah auf Margarets leeren Stuhl. Er rief einen Namen nach dem anderen auf, wobei sein Bleistift über der Anwesenheitsliste zuckte, denn sein leichtes Zittern hielt an. Als ich mich auf den Weg nach oben zum Biologieunterricht machte, wo Sophie mir von ihrem Platz aus zuwinkte, klingelte es wieder, ein Vibrieren, so schrill wie kalter Regen.
Mr Bingham sagte, wir sollten nicht vergessen, was wir über Moleküle gelernt hatten, und jetzt den Abschnitt über Ãkosysteme und die Entstehung von Sümpfen aufschlagen. Er blickte mich an, sprach dann aber in seiner üblichen strengen Art über Biber, und wie Bäume und Wasser als ein System interagierten. «Die Auslöschung von einem hat Auswirkungen auf die anderen», sagte er. «Herr Biber baut seinen Damm, das Wasser staut sich und die Baumwurzeln fangen an zu faulen.» Er hob sein bärtiges Kinn an, überflog die Reihe der Schüler mit
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