Schwimmen in der Nacht
mir mein Handtuch und huschte zurück, um mich anzuziehen.
Sophie und ich liefen völlig sprachlos zu unserem nächsten Kurs.
Irgendwann platzte es aus mir heraus: «Ich hasse sie.»
«Ich auch», sagte Sophie.
Mein Kunstlehrer, Mr Wilkins â ein groÃer, schlaksiger Mann â schlitterte zwischen den Bänken hindurch, rutschte herum und machte eine Drehung, wenn er etwas betonen wollte. Das war meine letzte Stunde an diesem Tag. Ich hatte es fast geschafft.
«Ihr seid hier, um Regeln zu brechen», teilte er uns mit. Er machte eine scharfe Drehung bei den Fenstern und blieb dann stehen, als ob es da drauÃen etwas zu sehen gäbe.
«Es gibt kein absolutes Richtig. Versteht ihr das?»
Ich nickte, und im Gegensatz zu Holloways kranker, erstickender Art bekam ich bei seiner Verrücktheit wieder Luft.
Mit wenigen Sätzen sprang er zur gegenüberliegenden Wand und schaltete das Licht aus. «Versucht mal, ob ihr so etwas zustande bekommt.» Er glitt zurück zum Lehrerpult und sank auf seinen Stuhl, um zu sehen, was wir machen würden.
Bis auf das Kratzen der Bleistiftspitzen auf Papier und das Klopfen der Holzlineale lag völlige Stille über dem Raum. Ich zeichnete einen Esstisch und zog lauter Linien darüber, viele sich kreuzende Striche, bis das Esszimmer wie ein Käfig aussah, wie eine von Roberts unheimlichen anderen Welten. Wilkings stand auf und durchquerte den Klassenraum, um einen Blick auf unsere Zeichnungen zu werfen. Dann setzte er sich wieder hin und las in einem Roman.
Beim Pausenklingeln warf er sich einen Rucksack über die Schulter und rief mich zu sich.
«Erzähl mir was über dein Bild.»
Ich zuckte mit den Schultern. «Da ist ein Tisch drauf.»
«Das habe ich gesehen. Was hat es mit den Strichen auf sich?»
«Vielleicht symbolisieren sie Gesprächsfäden.»
Er nickte. «Ein guter Anfang.»
Auf dem Gang wartete Sophie auf mich, und wir liefen zusammen nach drauÃen zu Mr Wilkins Wagen auf dem Schulparkplatz. Ihm gehörte der verbeulte rote Saab.
«Hatten Sie einen Unfall?», fragte Sophie, und ich merkte, dass sie es sofort bereute, weil sie mich nicht ansehen konnte.
«Das Leben ist ein Unfall», sagte er und öffnete die Fahrertür.
Ich sah, wie Mutter im Schnee davonfuhr, und ich begriff, dass ich in einen Schneesturm aus eigenem Unbehagen und dem anderer Leute geraten war. Und ich musste einen Weg finden, da wieder herauszukommen. Also zwang ich mich, so zu tun, als ob Autos und Unfälle nichts mit Mutter oder mit mir zu tun hätten.
«Was ist passiert?», fragte ich.
«Ist nicht wichtig. Steigt ein. Ich fahr euch nach Hause.» Er schmiss den Rucksack hinter den Fahrersitz, wo schon leere Büchsen, aufgerissene Briefe, ein Paar Turnschuhe und ein Stapel Zeichenpapier lagen.
Aber Sophie und ich wollten zu einem Footballspiel gehen.
«Wir gehen zum Spiel», sagte ich.
«Reine Zeitverschwendung, meine Damen.»
Er quetschte sich auf den Fahrersitz und rollte die Fensterscheibe nach unten. «Reine Zeitverschwendung.» Er grinste und fuhr aus der Parklücke und hupte noch einmal, als er auf die HauptstraÃe bog.
Man konnte das rhythmische Klatschen der Cheerleader schon ein paar Häuserblöcke entfernt hören. Das Spiel hatte bereits angefangen. Wir beeilten uns, zum Spielfeld zu kommen, und ergatterten noch zwei freie Plätze auf der unüberdachten Tribüne. Die Reihen vor und hinter uns waren voll. Vor uns, unten auf dem Spielfeld, hüpften acht Cheerleader in Faltenröcken und dicken Pullis auf der Laufbahn auf und ab und wirbelten schwarzen Staub auf. Zwei der Mädchen trugen einen Pferdeschwanz, den sie mit Schleifen hochgebunden hatten. Sie lächelten, als ob man ihre Münder aufgerissen hätte. Eine Gruppe Jungen in Lederjacken und Jeans saÃganz hinten auf der Tribüne und johlte ihnen zu. Direkt hinter uns lieà eine Gruppe italienischer Mädchen Kaugummiblasen platzen.
«Judensau», sagte eine von ihnen zu mir.
«He, Judensau, bist du taub?»
Jemand zog mich an den Haaren. Ich drehte mich um.
«Ist was?»
Das Mädchen hinter mir hatte blond gefärbte Haare mit deutlich sichtbarem dunklem Ansatz. Sie kam mir irgendwie bekannt vor. Ihre Augenlider waren blau geschminkt, auf die Wangen hatte sie sich etwas Rouge geklatscht.
«Ist was?», machte sie mich nach.
Ich beugte mich nach vorn
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