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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Keener
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einem Blick, schaute dann wieder mich an und sagte mit überraschend sanfter Stimme: «Alle Dinge sind miteinander verbunden.» An die Tafel schrieb er mit blauer Kreide «Degeneration» und «Regeneration».
    Ich schrieb diese Wörter auf meinen Notizblock, ganz sauber, mit einem Füller, konnte aber nicht über diese Begriffe nachdenken. Stattdessen malte ich den Bau eines Bibers, ein wie ein Iglu aussehendes, rundes Etwas aus Blättern und Stöcken. Ich merkte, dass ich Gänsehaut bekam, als würde ich Blicke in meinem Rücken spüren, die mir so entgingen. Mr Bingham hatte gesagt, der Bau eines Bibers habe einen Eingang und einen Ausgang und eigenseinen Unterwasser-Fluchtweg für absolute Notfälle. Wo war mein Fluchtweg? Wohin konnte ich verschwinden? Im Klassenzimmer wurde es immer dunkler. Draußen bedeckten Regenwolken den Himmel.
    Mr Bingham saß an seinem kleinen Lehrerpult, und als es klingelte, rief er uns noch die Hausaufgaben zu und dass wir am nächsten Tag einen kleinen Test schreiben würden. Sophie wartete auf mich, während ich meine Unterlagen zusammenklaubte. Ich zögerte den Moment hinaus. Was würde sie sagen?
    Â«Der Test wird bestimmt leicht», sagte sie. «Er klingt gern streng, aber so ist er nicht.»
    Â«Ich weiß, was du meinst», sagte ich, erleichtert, dass sie etwas ganz Normales gesagt hatte, so als ob alles in Ordnung wäre.
    Der lange Gang hatte ein Eigenleben. Zwölf Minuten Chaos. Ich traf Margaret zufällig vor der Mädchentoilette.
    Â«Du bist also nicht krank», sagte ich. Sophie stand neben mir.
    Â«Hat Giles irgendwas gesagt?»
    Â«Nichts. Er hat dich als ‹nicht anwesend› eingetragen.»
    Ein blondes Mädchen mit dunklem Haaransatz stieß die Tür zu den Toiletten auf, und eine Rauchwolke folgte ihr. Sie starrte mich an, sagte aber nichts, als sie Margaret entdeckte.
    Â«Ich musste meine kleine Schwester in die Schule bringen.» Margaret hielt die Tür zu den Toiletten auf. «Komm schon, ich muss eine rauchen.»
    Ich folgte ihr. Sophie begleitete mich. Es klang brutal,wenn mehrere Toilettenspülungen hintereinander gedrückt wurden, kleine, aufgeladene Wasserexplosionen. Noch ein anderes dunkelhaariges Mädchen stand über eines der Waschbecken gebeugt, um ihre Augen zu schminken. Sie beschmierte sich den Mund mit weißem Lippenstift, mit einer Art Puderzucker.
    Â«Ich musste meiner Mutter helfen», sagte sie, und ihr Blick veränderte sich, als sie «Mutter» sagte. Der Wortklang fiel in die Schlucht, die mein Herz jetzt war, und stürzte in die Dunkelheit.
    Â«Lass mich mal ziehen.» Ich hielt zwei Finger ausgestreckt und sie gab mir die Zigarette. Ich nahm einen Zug und stieß den Rauch in einem langen Strahl aus, wie ich es bei ihr gesehen hatte. Ich würde schauspielern. Das war der einzige Ausweg. Ich blies noch eine lange Rauchwolke zur schmierigen Decke hoch. Mir gefiel dieser Ort, der nie einen Lichtstrahl hineinließ. Das grüne Fensterglas verdunkelte den Raum zu jeder Tageszeit. Sie sah mir zu und nahm sich dann wieder ihre Zigarette.
    Â«Du hast geübt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es Giles einfach sagen soll», sagte Margaret. «Er glaubt mir sowieso nicht.» Sie nahm noch einen Zug.
    Â«Red mit ihm. Er wird dir glauben.»
    Margaret stieß Rauch aus und bot Sophie einen Zug von ihrer Zigarette an, die mich überraschte, weil sie das Angebot annahm. Sie hustete. Das Mädchen am Waschbecken schaute zu ihr rüber. Sophie gab die Zigarette weiter an mich. Ich hielt mir den Filter an den Mund. Er war heiß und süß wie Lippenstift mit Geschmack. Ich versuchte diesmal, auf Lunge zu rauchen, und musste auch husten.
    Â«Ihr braucht beide Nachhilfe», sagte Margaret grinsend.
    Sie griff nach der Zigarette und hob das Gesicht an, nahm einen langen Zug und stieß ihn zischend aus. Den Rauch lenkte sie wie eine Sängerin, die in hohen Tonlagen singen will, nach oben. Dann ging sie in die Toilettenkabine und warf den Stummel ins Klo. Das heftige Rauschen und Getöse der Spülung ertönte erneut.
    ~~~~~~~~~~~
    Nach dem Mittag gingen Sophie und ich zum Sportunterricht und schlüpften in widerliche grüne Uniformen, die gewaschen, gebügelt und gestärkt worden waren, damit sie sich auch ja so rau wie Pappe anfühlten. Im Umkleideraum würgte ich mir das Kleid mit dem Faltenrock über die

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