Schwimmen in der Nacht
voller Kummer und dann ein Rascheln aus Doras Zimmer. Plötzlich kam sie heraus, pinkrote Lockenwickler im Haar, und schlurfte in ihrem blauen Baumwollbademantel, der ihre Haut noch dunkler machte, in die hell erleuchtete Küche.
«Was machst du denn da?»
«Ich hab Hunger.»
«Du bist ja ganz nass. Wo warst du denn?»
«Schwimmen.»
«Meine Güte.» Sie wollte schon in ihr Zimmer zurückgehen, kam dann aber noch einmal zu mir.
«Wann ist sie gekommen?», fragte ich und meinte Sherry.
«Nach dem Abendessen. Sie waren noch im Kino.»
Wir sahen uns an, Dora war etwas besänftigt, lächelte noch nicht, räumte aber ein, was wir beide wussten: dass mein Vater zu weit gegangen war, gewisse Grenzen überschritten und meine Regeln verletzt hatte, Regeln, von denen ich nichts gewusst hatte, Regeln in Bezug auf Zeit und Rücksichten. Zeit, mich an das Leben ohne Mutter zu gewöhnen. Rücksicht darauf, wann eine jüngere Frau â überhaupt eine Frau â Mutters Platz einnehmen durfte.
«Es ist ihm egal, oder?»
Sie seufzte und seufzte gleich noch einmal, als brächte heftiges Atmen passendere Wörter hervor oder könnte die verqueren klarer machen, mit denen ich zu kämpfen hatte. Ich roch ihre Handcreme und den Schweià auf ihren Schläfen. Ich rührte in den Nudeln und wartete ungeduldig darauf, dass sie gar wurden.
«Hör mal, Sarah», sagte sie und drehte die Herdflamme runter. «Dein Vater hat seine Bedürfnisse. Wenn du älter bist, wirst du das verstehen.»
Ich schnaubte. Meine Brüste wackelten unter der feuchten Bluse. Ich fühlte mich in meinen Sachen klebrig und eingeklemmt. «Ich bin aber nicht älter. Okay?» Ich erstarrte, richtete mich auf und rührte noch zweimal durch die Pasta, die jetzt zu weich geworden war. Ich riss den Topf vom Herd und goss das heiÃe Wasser mitsamt den Nudeln in die Spüle.
«Kann ich helfen?» Sherry tauchte plötzlich in der Küchentür auf. Sie trug ein langes gelbes Unterhemd, das ihr bis zu den Knien reichte. Sie hatte breite Knie und stämmige Beine. Kein Vergleich mit Mutters schlanken Waden. «HeiÃhunger um Mitternacht?» Sie lächelte; ihr Lippenstift verblasste schon.
«Ich hatte kein Abendessen.»
Ich hasste ihre Versuche, sich bei mir anzubiedern, als würde sie alles verstehen.
«Brennt da was an?», fragte Vater und stand plötzlich hinter ihr, die Haare in der warmen Sommernacht verstrubbelt. Er sah mich nicht an. Er fragte Dora.
«Fragen Sie Ihre Tochter. Sie hat gekocht.»
Das überhörte er aber, kam herein und lieà sich ein Glas Wasser einlaufen.
«Ich hab Sherry eingeladen, heute Nacht hierzubleiben. Ich schlaf auf dem Sofa und sie bei mir im Büro auf der Schlafcouch.»
«Ja, klar.»
Ich verlieà die Küche, lieà Pasta und die Töpfe stehen und ging nach oben, um zu duschen. Ich war empört,fuchsteufelswild. Wäre ich doch bloà die ganze Nacht weggeblieben.
In der Dusche hielt ich das Gesicht direkt unter die Brause. Warum hatte Mutter den Wagen im Gooseneck Lake versenkt, traumhaft schön mit ihrer Kurzhaarfrisur und dem Partykleid? Wollte sie aus ihrer Ehe ausbrechen? Uns verlassen? Weglaufen, wie ich hatte weglaufen wollen, bis Anthony mich dann zurückgebracht hatte? Sechs Monate später hatte ihr neuer Cadillac sie nicht mehr schützen können. Der Februarschnee und ein Laster oder die Erinnerung an die Symphony Hall hatten sich zusammengetan und sie umgebracht. Ich konnte es einfach nicht akzeptieren, dass sie nicht mehr zurückkam.
Als Anthony und ich zu seinem Wagen zurückgekommen waren, hatte ich ihn mit der Hand wieder hart gemacht. Mir gefielen die Kontrolle und die Macht, die ich auf diese Weise erhielt. Er lag im Hemd und mit offenem Hosenschlitz auf dem Rücksitz. Aber danach, nach seinem Stöhnen und Aufbäumen, wirkte er verwirrt, als hätte ich ohne Erlaubnis seinen privaten Schutzschirm durchbrochen.
Auf der Fahrt nach Hause lehnte ich mich an seine Schulter und rauchte. Eine Zärtlichkeit lag in der Luft, die sich einstellt, wenn zwei Liebende keine Zukunft haben. Keine Hoffnung.
Ich kam aus der Dusche und trat, in ein Handtuch gewickelt, oben an die Treppe. Unten hörte ich Vaters brummende Stimme, das Seufzen einer Frau, und im Wohnzimmer wurde etwas umgestoÃen. Dann ging auch das letzte Licht im Haus aus.
19.
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