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Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
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ihn davor bewahren würde, sich außerhalb der Festung zu verirren. Das, was für Indira das Kaufhausdach und für Miira die Hausmauer war. Plötzlich überkam ihn das Gefühl, er würde das Spiel seit jeher kennen und dieses Brett wäre sein wahres Zuhause.
    »Das gefällt mir.«
    Der Meister nickte beifällig. Pawn schnurrte.
    »Nun will ich dir zeigen, wie man die Figuren aufstellt.«
    »Oh, so viele Figuren gibt es? Wo kommen die denn alle hin?«
    »Nicht so hastig, mein Junge«, antwortete der Meister. Der Junge bat seinen Großvater, ihm ein Schachmuster an die Decke seines Alkovens zu malen.
    »Wozu soll das gut sein?«
    »Ich lerne gerade Schach.«
    »Spielt man das an der Decke?«
    Sein Großvater hatte keine Ahnung, wovon der Junge sprach.
    »Nein, das nicht. Eigentlich spielt man es auf einem Brett und setzt mit seinen Figuren den anderen König matt.«
    »Und wie willst du mit Figuren an der Decke spielen?«
    »Ach, das geht schon. Ich brauche keine richtigen Figuren. Wenn die Felder sauber umrandet sind, kann ich im Kopf spielen.«
    Der Junge hätte nie erwartet, dass man ihm Schachfiguren kaufte. Das Einzige, was er zum Lernen brauchte, war seine Festung.
    »Ja, eine Einfassung ist wichtig. Bei einem Möbelstück verhält es sich genauso. Es taugt nichts, wenn der Rahmen nicht stabil ist.«
    Der Großvater war überredet. Er zeichnete nach Anweisung seines Enkels ein Gitternetz mit vierundsechzig Feldern, die er abwechselnd schwarz und weiß ausmalte, an die Decke.
    »Die untere rechte Ecke muss weiß sein. Achte bitte darauf!«
    Wie zu erwarten war, erledigte der Großvater alles auf makellose Art und Weise.
    »Oho … soll das etwa böse Geister verjagen?«
    Die Großmutter, wie immer mit ihrem Tuch in der Hand, warf nur einen kurzen Blick in den Bettschrank, da sie mit der Vorbereitung des Abendessens beschäftigt war.
    Der Junge zog sich in den Alkoven zurück, schloss von innen die Tür und machte es sich auf seinem Lager bequem. Gespannt schaute er zur Decke hoch. Als er die Glühbirne am Kopfende des Bettes einschaltete, konnte er das Muster an der Decke gut erkennen. Die von seinem Großvater gezogenen Linien traten in dem schummrigen Licht sogar noch markanter zum Vorschein. Es war, als würden die Felder in der Luft schweben.
    Für den Jungen war es das erste Schachbrett, das ihm ganz allein gehörte. Denn die Figuren, die nach Herzenslust darauf umherstreiften, waren nur für ihn sichtbar.
    »Der Meister nennt Dame und König immer ›Mutter‹ und ›Vater‹, wenn er mir das Spiel erklärt. Das verstehe ich nicht.«
    Jeden Abend erzählte er Miira, was er Neues gelernt hatte.
    »Der König ist der Vater, also die wichtigste Figur von allen. Die gesamte Familie arbeitet mit vereinten Kräften, um ihn zu beschützen. In der Familie wiederum ist die Mutter, also die Dame, die mächtigste Person. Die Läufer stehen für ihre älteren Töchter, die Türme für die jüngeren. Ihre älteren Söhne, die Springer, kämpfen an ihrer Seite und übernehmen Aufgaben, die sie selbst nicht ausführen kann. So hat er mir das erklärt.«
    Der kalte Wind, der in Richtung Meer blies, ließ die Fensterscheiben erzittern. Der Junge kuschelte sich unter die Decke und legte eine Hand an die Wand.
    »Findest du das nicht sonderbar? Eigentlich sollte doch der Vater die Familie beschützen, selbst wenn er sich dafür als Erster opfern müsste. Aber hier wird der König bis zum Schluss verschont. Und die Figur, die am meisten arbeitet, ist die Dame. Deshalb bin ich mit der Theorie, dass der König ein Vater sein soll, nicht einverstanden. Ich habe eine andere Idee. Der König ist der Dorfälteste. Im Gegensatz zu den anderen kennt er die Gesetze, die Traditionen und die Regeln am besten, und damit besitzt er die Kraft, die Dorfgemeinschaft zu beschützen. Aber da er schon viele Jahrhunderte auf dem Buckel hat, kann er sich nicht mehr so gut bewegen. Er ist schon etwas wacklig auf den Beinen und kommt bei jedem Schritt nur ein Feld weiter. Deshalb unterstützt ihn die Dorfjugend, um die Weisheit des Dorfältesten zu bewahren. Die Jüngeren übernehmen dabei ganz unterschiedliche Aufgaben. Es gibt Figuren, die sich nach Belieben in alle acht Richtungen bewegen können, und solche, die durch die Luft springen können. Jeder erfüllt seine Mission, und dabei ergänzen sie sich gegenseitig. Sie schlagen die gegnerischen Figuren nicht zufällig, sondern indem jeder seine Fähigkeiten geschickt ausnutzt.«
    Der Junge

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