Schwimmen mit Elefanten - Roman
Becher Kakao in einem Zug aus.
In dem Augenblick maunzte irgendwo eine Katze, ganz leise, so als wollte sie auf keinen Fall stören.
»Ach!« rief der Junge verwundert, als er die Katze entdeckte, die zusammengerollt unter einem Beistelltischchen neben dem Bett lag. »Darf ich sie streicheln?«
»Natürlich. Er ist ein Kater und heißt Pawn.«
Das Tischchen war im Vergleich zu den anderen Möbeln sehr schlicht gearbeitet. Außer dem schwarz-weißen Karomuster hatte es keine weiteren Verzierungen und war an einigen Stellen bereits ziemlich abgenutzt. Der Kater war passenderweise ebenfalls schwarz-weiß gefleckt, sogar seine mit Katzenhaaren übersäte Decke hatte ein ähnliches Muster.
»Hey, Pawn! Schau mal!« Der Junge versuchte, den Kater herbeizulocken, aber Pawn stellte nur die Ohren auf und blickte ihn mit großen Augen an. Er bewegte sich nicht von der Stelle.
»Das ist Pawns Ecke. Es geschieht höchst selten, dass er sie mal verlässt.«
Sei es durch das gleiche Muster oder durch den Kontrast zwischen dem runden Katzenbuckel und den schwarz-weißen Quadraten, Pawn und der Tisch bildeten eine harmonische, unzertrennliche Einheit. Der Junge duckte sich, kroch zu dem Kater hinüber und strich ihm sachte übers Fell, um ihn nicht zu erschrecken.
»Wie brav du bist.«
Er nahm Pawn und setzte ihn auf seinen Schoß. Vorsichtig schmiegte er seine Wange an das Fell des Katers. Es war zwar das erste Mal in seinem Leben, dass er eine Katze streichelte, aber er ging sehr behutsam vor. Er spürte die Körperwärme des Tieres und dachte bei sich, dass sich bestimmt auch Indira und Miira so angenehm anfühlen würden. Pawn schnurrte zufrieden.
»Ich habe einen Freund, der ist auch Busfahrer.« Während er den Kater streichelte, war dem Jungen plötzlich wieder eingefallen, warum er eigentlich gekommen war.
»Ach, sieh an.«
Der Mann schüttete ein paar getrocknete Fische in den Futternapf des Katers.
»Er ist ein sehr gewissenhafter Mensch. Seine Uniform legt er immer ordentlich zusammen. Auch im Dienst ist er stets pünktlich. Er ist ein toller Fahrer, auf ihn ist Verlass. Es kann gut sein, dass auch er sich mit seinen Kollegen nicht besonders versteht. Aber er kann sehr gut schwimmen, Bahn für Bahn, und das ganz ohne Pause.«
Pawn gähnte und rümpfte die Nase, auf der sich zwei schwarze Flecken wie Schmetterlingsflügel ausbreiteten. Als hätte Gottes Pinsel beim Auftupfen der Farbe gekleckert. Die Härchen an seinen Pfoten waren so fein wie der Flaum auf den Lippen des Jungen.
»Wie heißt er denn?« fragte der Mann.
»Seinen Namen habe ich nie erfahren«, erwiderte der Junge. »Als ich ihn danach fragen wollte, war er bereits tot.«
Pawn miaute ein zweites Mal, diesmal klang es noch bescheidener als zuvor.
»Ach, das war bestimmt mein Freund.«
»Wirklich?«
»Ich glaube schon. Er hat mich jeden Abend hier im Bus besucht. Wir haben etwas zusammen gegessen, und danach haben wir Schach gespielt. Er hat auch immer Pawn gestreichelt, genau wie du gerade.«
»Schach?« wiederholte der Junge verwundert. Ohne zu wissen, was dieses Wort bedeutete, spürte er, wie es in seinem Inneren nachklang.
»Ja, genau. Schach. Man muss dabei versuchen, den König seines Gegners zu Fall zu bringen. Es ist ein Abenteuer, bei dem man in ein aus 64 Feldern bestehendes Meer eintaucht. Ein Meer, in dem Elefanten baden.«
Der Junge musste an die Pfützen auf dem Kaufhausdach denken. Er sah die Wasserfläche vor sich, durch die Indiras Fußabdruck wie ein Fossil hindurchschimmerte.
»So, nun gib Pawn auch etwas zu essen.«
Der Mann drückte ihm den Napf in die Hand und stopfte sich noch ein Törtchen in den Mund. Der Junge stellte das Schälchen auf den Boden, woraufhin sich der Kater duckte, als wäre es ihm unangenehm, so viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Im Gegensatz zu seinem Herrchen kaute er beinahe anmutig, während er einen Fisch nach dem anderen verspeiste.
»Wenn unsere Partie beendet war, ist er immer allein zum Schwimmbad gegangen. Er meinte, Schwimmen sei das beste Mittel, um seinen erhitzten Kopf zu kühlen. Wenn er in das kalte Wasser tauche, könne er danach immer gut schlafen. Schwimmen und Schach waren das Einzige, das ihm etwas bedeutete. Beim Schach war er immer sehr angriffslustig, aber auch bereit, eine Figur zu opfern. Man erkennt einen Menschen daran, was für Opfer er bringt, und nicht, wie er seine Angriffe ausführt. Er war nicht nur ein exzellenter Busfahrer, sondern auch ein brillanter
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