Schwimmen mit Elefanten - Roman
ist ein Meer, das weiter und tiefgründiger ist, als du glaubst.«
Der Junge starrte auf den Rücken des Meisters, der den gesamten Gang ausfüllte. Sein zu knapp gewordenes Hemd war so weit hochgerutscht, dass die Unterwäsche herausschaute.
»Kann denn jeder diesem Klub beitreten?«
»Nein, es gibt einen Test.«
»Was denn für einen Test?«
»Eine Schachprüfung. Man spielt gegen eines der Mitglieder und muss es besiegen. Aber das sollte für dich kein Problem sein. Ich bin sicher, dass du es schaffst.«
»Das macht mir Angst. Allein zu diesem Verein zu gehen und mich von fremden Leuten überprüfen zu lassen …«
»Aber ich lass dich doch nicht im Stich. Selbstverständlich begleiten wir dich, Pawn und ich.«
Der Meister drehte sich um und schaute dem Jungen direkt in die Augen. Und auch der Kater spitzte die Ohren und kam unter dem Schachtisch hervor.
Der Junge stimmte schließlich zu, sich der Aufnahmeprüfung zu unterziehen. Zwar sah er noch immer keinen Sinn darin, aber er wollte seinen Meister nicht enttäuschen. Seitdem er den Bus zum ersten Mal betreten hatte, um das Spiel zu erlernen, hatte ihn der Meister nie um etwas gebeten. Nun war es an der Zeit, sich erkenntlich zu zeigen.
Am Tag der Prüfung brachen sie früh auf. Der Bus, es war eine andere Linie als die zum Kaufhaus, brachte sie zum Stadtpark, wo das Hotel Pazifik mit den Vereinsräumen des Schachklubs lag.
Die drei – der riesige Mann mit dem kleinen Jungen und dem Kater im Korb – zogen die Blicke der Leute auf sich. In einem funktionstüchtigen Bus zu sitzen war dem Meister sichtlich unheimlich, denn er schaute ziemlich ängstlich drein. Allein schon die Fahrscheine zu kaufen und sich an den Fahrgästen vorbei zur hintersten Sitzbank zu drängeln – es war der einzige Platz, wo er aufgrund seiner Leibesfülle hinpasste – nahm viel Zeit in Anspruch. Der Junge stützte ihn am Arm, um ihn möglichst problemlos dorthin zu führen, aber es half nicht sonderlich. So einen dicken Mann hatten die anderen Fahrgäste noch nie gesehen, das verrieten ihre Blicke, mit denen sie ihn neugierig musterten. Es gab auch welche, die ungehalten reagierten, wenn der Meister sie mit seinem Bauch anstupste.
»Verzeihen Sie bitte«, entschuldigte sich der Meister höflich. Pawn saß still in seinem Korb und schaute ängstlich nach oben, um zu sehen, was da draußen vor sich ging.
Der Gedanke, dass der Meister um seinetwillen den verächtlichen Blicken der Leute ausgesetzt war, quälte den Jungen. Der Schachklub wurde ihm dadurch noch verhasster. Am liebsten hätte er den anderen Fahrgästen ins Gesicht gesagt, dass dieser Mann ein Schachgenie sei. Dass er mit Holzfiguren Muster weben konnte, die so schön waren wie ein Spinnennetz nach einem Regenschauer. Immerhin war er dadurch so abgelenkt, dass ihm während der Busfahrt nicht übel wurde.
Es war ein vornehmes, traditionsbewusstes Hotel, wo man vom Portier mit einer ehrerbietigen Verbeugung empfangen wurde. Im Foyer, das mit dicken Teppichen ausgekleidet war und in dem funkelnde Kronleuchter an der Decke hingen, verkehrten ausschließlich elegant gekleidete Leute.
»So, mein Junge, jetzt geht es los«, sagte der Meister und hob den Korb hoch. Der Junge wusste nicht, was ihm außer Schachspielen noch bevorstand, aber er nickte gehorsam. Die drei steuerten zielstrebig den Schachklub im Untergeschoss an.
Der eingravierte Namenszug auf dem Messingschild, das an dem hölzernen Portal prangte, sollte wohl »Pazifik-Schachklub« heißen, denn wegen der verschnörkelten Schrift konnte ihn der Junge kaum entziffern. Sie klopften an, und sogleich wurde ihnen die Tür geöffnet. Erschrocken wich der Junge einen Schritt zurück. Alles sah auf den ersten Blick völlig anders aus, als er es sich vorgestellt hatte. Er hatte eine Art Übungshalle erwartet, in der eine Reihe von Spielern an Schachtischen saß, aber in dem schummrigen Raum mit seiner gediegenen Ausstattung entdeckte er kein einziges Schachbrett. In dem geräumigen Salon gab es mehrere Ledersofas, hier und da standen Vasen mit Blumenarrangements, und die deckenhohen Regale waren mit Büchern vollgestopft. An den Wänden hingen Ölgemälde, Zierteller und Hirschgeweihe, sodass man sich fragte, was das alles mit Schach zu tun haben mochte. Ein kalter Luftzug empfing sie, der mit dem süßen Duft im ausrangierten Bus des Meisters nicht das Mindeste gemein hatte.
»Herzlich willkommen. Treten Sie ein. Es ist alles vorbereitet«, sagte ein älterer
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