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Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
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denen Spieler glauben, sie hätten Glück gehabt, ist es nicht zufällig vom Himmel gefallen, sondern wurde herbeigeführt. Auf dem Schachbrett kommt die gesamte Persönlichkeit eines Spielers zum Ausdruck, sobald er die Figuren berührt«, erklärte der Meister in feierlichem Tonfall.
    »Da spielt vieles eine Rolle: seine Philosophie, seine seelische Verfassung, seine Bildung, sein Charakter, sein Begehren, sein Gedächtnis, seine Zukunft, einfach alles. Hier lässt sich nichts verbergen. Schach ist wie ein Spiegelbild, das einen Menschen mit all seinen Eigenheiten zeigt.«
    Für den Jungen waren die Erklärungen zwar etwas schwierig, aber als das Wort »Spiegelbild« fiel, konnte er immerhin nachvollziehen, dass es den jeweiligen Spieler getreu abbildete. Dabei kam ihm die Bemerkung seines Großvaters in den Sinn, dass Schach eine bedeutsame Angelegenheit sei, und er fand dies sehr treffend.
    Der Spieler, der es ihm am meisten angetan hatte, war der russische Großmeister Alexander Alexandrowitsch Aljechin. Zunächst stolperte der Junge über den Ausdruck »Poet auf dem Schachbrett«. Bislang hatte er über keinen anderen Spieler gelesen, der mit einem solch merkwürdigen Namen bedacht worden war. Er wusste nicht einmal, was genau das Wort »Poesie« bedeutete, aber wenn die Stille beschworen wurde, die wie morgendlicher Nebel aus Aljechins Notationen steigt, oder die Lieblichkeit von Blütenblättern, die eine frische Brise erzittern lässt, wenn von brausenden Winden, die durch die Steppe jagen, die Rede war und von der Einsamkeit des Mondes am dunklen Firmament, dann musste es sich dabei um etwas sehr Kostbares handeln. Jeder Zug von Aljechin war wie ein Vers, der tief in die Seele des Jungen eindrang.
    Seine Schwärmerei hatte aber noch einen anderen Grund. Der Schachgroßmeister war ein großer Katzenliebhaber. Als der Junge ein Foto entdeckte, auf dem Aljechin im rechten Arm eine Katze hält, während er mit der linken Hand eine Figur versetzt, konnte er einen erstaunten Ausruf kaum unterdrücken.
    Der Tisch mit dem Schachbrett steht am Fenster, neben einem Heizkörper. Aljechin spielt mit Schwarz. Sein Gegner sieht aus wie ein Gelehrter. Das Spiel hat gerade begonnen, denn nur wenige Figuren haben die Grundstellung verlassen, aber schon kündigt sich ein Gedicht an, dessen Verse bald geschmiedet werden. Aljechin, breitschultrig und von imposanter Statur, sitzt schräg auf dem Stuhl, die Beine lässig übereinandergeschlagen. Seine Aufmachung – der Anzug, die Manschettenknöpfe und die Lederschuhe – wirkt elegant. Und seine hohe Stirn verleiht ihm ein geradezu nobles Aussehen, ganz wie es sich für einen Poeten geziemt.
    Und die Katze … Sie ist schwarz-weiß gefleckt wie Pawn, sitzt auf Aljechins rechtem Arm, spitzt die Ohren und schaut noch ernster auf das Schachbrett als der Großmeister. Als wollte sie ihr Vorrecht betonen, dass sie vor jedem anderen seine Verse lesen darf. Oder als würde sie versuchen, den Gegner mit ihrem Blick zu verwirren. Sie heißt Caissa, wie die Schutzgottheit des Schachs.
    Aljechin starb auf mysteriöse Weise in einem portugiesischen Hotel, direkt neben einem Schachbrett. Über die Todesursache gibt es seit jeher Spekulationen, die von einem Herzinfarkt über Ersticken bis hin zu Mord reichen. In dem Buch war auch ein Foto abgebildet von der Szenerie, in der man den Verstorbenen vorgefunden hatte.
    Das Schachbrett befand sich auf einem Tisch, daneben stand leeres Hotelgeschirr. Der Junge bedauerte, dass alle Figuren noch in der Ausgangsposition verharrten. Hätte wenigstens der weiße Läufer auf e4 oder der schwarze Springer auf f6 gestanden, wären das Aljechins letzte Worte gewesen. Was für ein Gedicht hätte er wohl im Angesicht des Todes auf dem Schachbrett hinterlassen? Der Junge ging in Gedanken etliche Konstellationen durch.
    Das letzte Foto zeigte sein Grab auf dem Friedhof Montparnasse in Paris, doch jedes Mal, wenn der Junge diese Seite aufschlug, machte ihn der Anblick unendlich traurig. Das auf der Grabplatte eingelassene Schachbrett war verdreht. Eigentlich hätte in der rechten unteren Ecke ein weißes Feld sein müssen, aber hier waren sie auf beiden Seiten schwarz. So konnte Aljechin unmöglich Schach spielen. Ein Strauß Blumen schmückte das Grab und eine Skulptur seiner geliebten Katze, aber das tröstete den Jungen wenig. Wenn das Schachbrett so verdreht war, dann hatte man dem Poeten des Schachs keinen Respekt entgegengebracht. Und das, obwohl

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