Schwimmen mit Elefanten - Roman
sich vergnügen wollte oder ihre Sorgen zu zerstreuen suchte.
Obwohl die geheimen Spiele mit dem Automaten tief unten auf dem Meeresgrund ausgetragen wurden, wo kein Mondlicht hinfiel, verbreitete sich die Kunde über den Kleinen Aljechin in Windeseile, sodass es an Gegnern nie mangelte. Zuerst fand man es nur kurios, dass eine Puppe Schach spielte, aber dann hieß es, dass der Automat nicht nur beachtliche Resultate erzielte, sondern auch mit schwächeren Gegnern wunderschöne Notationen hinterließ. Tatsächlich verlor der Kleine Aljechin so gut wie keine Partie. Seine Fähigkeiten, die er bei seinem Meister erlernt hatte, wurden durch die neuen Erfahrungen und ständig wechselnden Gegner immer raffinierter und subtiler.
Natürlich argwöhnten die Leute, es müsse ein Mensch seine Finger im Spiel haben, aber das tat der Popularität des Kleinen Aljechin keinen Abbruch, sondern steigerte eher noch die Neugier der Leute.
Jeder wünschte sich, in den Besitz dieser begehrenswerten Notationen zu gelangen.
Ein Problem war jedoch die körperliche Verfassung des Jungen. Wie sehr er auch von seiner Willensstärke und seinem Können zehren mochte – die körperlichen Qualen waren bei jeder Begegnung gleich, weshalb er nie mehr als eine Partie pro Nacht spielen konnte.
Der Generalsekretär prüfte jede Anmeldung gewissenhaft und ließ nur jene Interessenten zu, die sich als würdige Gegner erwiesen. Dies geschah aber weniger aus Sorge um das Wohlergehen des Jungen, sondern um die geheimnisvolle Aura der Puppe zu bewahren.
Jede Partie dauerte etwa zwei Stunden, aber mit allen Vorbereitungen und bis alle Zuschauer gegangen waren, verbrachte der Junge mindestens doppelt so viel Zeit in dem Kasten. Dann brauchte er eine weitere Stunde, um seine steifen Glieder auf den kalten Fliesen zu entspannen. Dennoch kam ihm nie in den Sinn, wegen der Strapazen aufzugeben, weil es die einzige Möglichkeit war, Zeit mit seiner Freundin Miira zu verbringen.
Als würde sie selbst nicht glauben, jemandem nützlich sein zu können, massierte Miira die Gelenke des Jungen immer ganz vorsichtig: Ellbogen, Knie, Hüfte, die Schultern, Knöchel, den Kiefer und die Finger. Ihre geschmeidigen Hände taten Wunder, auch an den entlegensten Körperteilen. Oh, diese Stelle kannte ich noch nicht, wunderte sich der Junge dann, wenn er mit geschlossenen Augen dalag. Vermutlich erinnerte sich Miira nur zu gut an ihre eigenen Schmerzen, als sie selbst in dem schmalen Mauerspalt eingeklemmt war. Wie sollte sie sich sonst derart gut mit dem Körper eines anderen auskennen? Dem Jungen wirbelten alle möglichen Gedanken durch den Kopf, während seine Schweißperlen langsam auf die Fliesen tropften.
»Der Zug, mit dem du deinen Bauern auf e4 geschützt hast, war grandios. Ich habe jetzt noch Herzklopfen, wenn ich daran denke.«
»Nicht zu fassen, warum dein Gegner beim zwölften Zug deinen Bauern nicht mit seinem Läufer geschlagen hat. War ihm das zu riskant?«
»Ich habe mir wirklich Sorgen gemacht, als dein Läufer umzingelt war. Aber als er sich dann endlich befreien konnte, war er doppelt so stark wie vorher.«
Miira schilderte immer direkt im Anschluss an die Partie ihre Eindrücke, um ihn von seinen Schmerzen abzulenken. Es waren stets intelligente Bemerkungen, doch konnte er nie darauf eingehen, weil er einfach zu erschöpft war. Ihre Stimme, die von den Fliesen widerhallte, hörte sich genauso an wie damals, als sie durch die Wand im Alkoven drang.
Seine Glieder, die er mit Rücksicht auf den Mechanismus verbiegen musste und denen die finstere Kälte jegliches Leben entzogen hatte, gewannen in Miiras Händen wieder ihre ursprüngliche Kraft zurück. Es war, als würden seine Schmerzen von ihr absorbiert. Das süße Schurren ihrer Schuhspitzen, wenn sie neben ihm kniete, erklang dicht neben seinem Ohr. Manchmal waren von irgendwoher Schritte zu hören, aber niemand warf einen Blick in die ehemalige Damendusche. Sobald sich der Automat wieder in eine reglose Puppe verwandelt hatte, war das zweite Untergeschoss für Besucher geschlossen. Der Kleine Aljechin, seinen linken Arm auf ein Kissen gebettet, ruhte mit sanft geschlossenen Lidern, um die beiden Freunde nicht zu stören.
»Danke.«
Das Erste, was in sein Blickfeld geriet, wenn er die Augen wieder aufschlug, war die Taube. Sie rollte mit ihren undurchdringlichen schwarzen Augen und starrte ihm direkt ins Gesicht.
Der Körperbau des Jungen hatte sich zwar seit seinem elften Lebensjahr nicht
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