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Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
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wollen Pawn liebkosen, dachte der Junge, der seine bedrückende Lage duldsam ertrug. Bei der Generalprobe hatte er es fünfundvierzig Sekunden hinter dem Vorhang ausgehalten, weshalb der Generalsekretär die Klappe bereits nach einer halben Minute wieder verschloss, so wie sie es vereinbart hatten. Der Junge schob daraufhin den Vorhang beiseite und kroch auf seinen angestammten Platz neben dem Getriebe, wobei er darauf achtete, sich möglichst geräuschlos zu bewegen.
    Draußen im Saal kam nun ein wenig Unruhe auf. Klackernde Absätze kamen auf die Puppe zu. Das musste die Tochter des Vorsitzenden sein, die nun vor dem Brett ihren Platz einnahm. Es wurde gelost. Die Dame erhielt Weiß, der Kleine Aljechin spielte mit Schwarz.
    Der Junge hatte vom Generalsekretär die strikte Anweisung bekommen, mit seinem Gegner keine Nachsicht walten zu lassen. In diesem Punkt hielte man es hier unten im Klub am Grunde des Meeres genauso wie in der oberen Etage: Es sollte stets ein seriöser und fairer Wettkampf sein. Das zu wissen, beruhigte den Jungen. Seit der Zeit im Bus seines Meisters mochte sich zwar vieles geändert haben, aber was hier in einer ehemaligen Damendusche ausgetragen wurde, war eine ganz normale Schachpartie. So wie er sie immer mit seinem Meister gespielt hatte.
    Der Kleine Aljechin begrüßte die Dame mit einem Handschlag. Die Berührung ihrer Handflächen übertrug sich auf die Nockenwelle und fühlte sich erschreckend kalt an. Wortlos setzte die Dame ihren ersten Bauern auf e4, worauf der Kleine Aljechin mit Sf6 antwortete. Der schwarze Springer sprang aus der hinteren Reihe vor und klackte millimetergenau auf das Feld. Applaus brandete auf, als wären die anwesenden Zuschauer begeistert vom ersten Zug der Puppe.
    Der Junge stellte bald schon fest, dass die Tochter des Vorsitzenden gar nicht so jung war. Ihre Kurzatmigkeit, ihr Räuspern und das zittrige Klappern ihrer Figuren zeigten ihm sogar, dass sie schon ziemlich betagt sein musste. Außerdem gab es noch etwas, was ihm auffiel. Unabhängig davon spielte sie aber auf hohem Niveau.
    Von Anfang an verhielt sie sich besonnen, und das, obwohl unter den Zuschauern eine große Erwartungshaltung herrschte. Seelenruhig zog sie in der Eröffnungsphase der Partie mit ihren Figuren, bis sie sich dann urplötzlich von ihrer tollkühnen Seite zeigte. Dies traf den Kleinen Aljechin zwar nicht unvorbereitet, jedoch kam er in Verzug, weil er natürlich für das Manövrieren der Puppe mehr Zeit brauchte.
    Trotzdem gelang es dem Jungen bald, mit seinem Läufer die ersten Bauern zu schlagen. In dem Augenblick, als der Kleine Aljechin den Arm hob, wusste Miira sofort, wohin der Läufer sollte, und legte den weißen Bauern, der auf b4 stand, beiseite. Ihre Hände berührten einander, als der schwarze Läufer den Platz des weißen Bauern einnahm. Miiras Hand war fast transparent, und ihre Fingerabdrücke konnte man kaum von der Maserung des Quittenholzes unterscheiden. Niemand im Publikum nahm ihre Anwesenheit wahr, ja, die Zuschauer bemerkten nicht einmal die Taube auf ihrer Schulter. Diskret machte Miira sich daran, den letzten Zug zu protokollieren.
    Der Junge holte tief Luft und griff mit der rechten Hand in die Hosentasche, um sich mit dem Schachfigurenbeutel die Schweißperlen von der Stirn zu wischen. Der Stoff war angenehm glatt und weich. Fast war es, als säße der Kater bei ihm auf dem Schoß, so wie damals unter dem Schachtisch des Meisters, wo er mit gespitzten Ohren dem Klacken der Figuren lauschte. Fast war es, als würde er den Jungen wieder auf seinen Entdeckungsreisen auf dem Ozean des Schachs begleiten.
    Die Spielweise der Dame war ungeachtet ihres fortgeschrittenen Alters voller Elan. Sie ließ sich nicht davon beeindrucken, dass der Kleine Aljechin Druck auf das Zentrum der Partie ausübte, sondern manövrierte ihre Figuren tollkühn über das ganze Brett, als würde sie eine Skipiste hinabsausen oder mit einem Drachenflieger vom Himmel segeln. Ihre Züge überraschten den Kleinen Aljechin, da sie so gar nicht zu dem zittrigen Geräusch der Figuren passten. Es war das erste Mal, dass er gegen jemanden antrat, der auf diese Art und Weise die Grenzen des Schachbretts zu sprengen schien.
    Am bemerkenswertesten war, wie die Dame ihre Türme einsetzte. In ihrer Rolle als Verteidiger durchpflügten sie kraftvoll das Brett und schufen so Freiraum für ihre Mitstreiter. Sobald die klobigen Spielfiguren in die Hände der Dame gerieten, strotzten sie nur so vor

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