Schwimmen mit Elefanten - Roman
verändert, im Laufe der Jahre, die er im Klub am Grunde des Meeres verbrachte, schien seine Statur sogar ein wenig zu schrumpfen. Man hätte meinen können, seine Gestalt hätte sich dem Inneren des Automaten angepasst. Natürlich klagte er nicht darüber. Vielmehr war er jedes Mal, wenn er ins Brett kroch, stolz darauf, wie biegsam seine Glieder waren, um nicht die Zahnrädchen und Federn zu blockieren. Schrecklich hingegen war für ihn die Vorstellung, sein Körper könne aus unerfindlichen Gründen doch noch so groß werden, dass er nicht mehr in die Puppe hineinpasste. Im Gegensatz zu seiner Statur waren nur seine Lippen erwachsen geworden. Auf der verpflanzten Wadenhaut hatte sich mit den Jahren ein wildes Dickicht aus Haaren gebildet.
Manchmal überkam den Jungen Wehmut, wenn er an die Partien mit seinem Meister zurückdachte. Er hatte sich zwar auch dort unter dem Tisch verkrochen, aber immer so, dass zumindest seine Füße hervorschauten. Und bei jedem Zug des Meisters hatte er aufstehen können, sobald er am Zug war. Damals war er glücklich, sich vor dem Rest der Welt verstecken zu können. Zu diesem Zeitpunkt wusste er allerdings noch nicht, welche Bedeutung dieses Untertauchen in seinem Leben haben würde. Nie hatte es einen besseren Lehrer gegeben als den Meister. Der hatte stets das Versteckspiel gutmütig toleriert, um aus dem Jungen einen Schachpoeten zu machen. Die Haare auf den Lippen des Jungen mochten auch noch so wuchern, wenn er an seinen Meister zurückdachte, wurde er wieder zu einem kleinen Jungen, der den Tränen nah war.
Mit Stolz erfüllte den Jungen der Gedanke, dass Menschen sich vor eine Puppe setzten, weil sie ein Verlangen nach jener Poesie spürten, die am Grunde des Meeres verfasst wurde. Meistens waren ihm seine Gegner unterlegen. Aber die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass selbst einseitige Partien nicht ohne Weiteres gewonnen werden konnten. Selbst wenn sein Kontrahent ein blutiger Anfänger war, musste sich der Junge ins Zeug legen, denn gerade da war die Schönheit der Spielzüge vorrangig. Starke Gegner entwickeln gefährliche Angriffe aus schwierigen Situationen heraus, während schwache Spieler oftmals einfältige, plumpe Züge machen. Ohne die Fehler des anderen auszunutzen, um ihn zu blamieren, konterte der Junge für gewöhnlich mit Zügen, die frischen Wind in die Partie brachten und den Horizont seines Gegners erweiterten. Er legte immer größten Wert auf die Harmonie, die sich in der Notation niederschlug. Selbst wenn man dafür einen Umweg in Kauf nehmen musste, um schließlich zum Sieg zu gelangen. Eine Partie konnte nur erfolgreich abgeschlossen werden, wenn jede einzelne Figur, einschließlich der des Gegners, zum Punkt in einem Sternbild wurde.
Als Orientierung diente dem Jungen das Notationsheft, das er einst von seinem Meister geschenkt bekommen hatte. Ihm konnte er entnehmen, wie ein ehemaliger Busfahrer die ersten Züge eines kleinen Jungen zum Leuchten gebracht hatte. Und so wollte er auch nicht, dass Miira hässliche Spiele aufzeichnete. Eine verunstaltete Partie passte nicht zu ihren schlanken Fingern, die so lange in einem Mauerspalt eingeklemmt gewesen waren. Der Junge wollte, dass die Symbole, die sie notierte, eine Schönheit besaßen, die ihrer würdig waren. Das war sein innigster Wunsch.
Hin und wieder tauchten auch erfahrene Spieler auf, manchmal kamen sie sogar von weit her. In Anbetracht ihrer beschwerlichen Anreise wollte der Junge sie keinesfalls enttäuschen. Solche Nächte waren besonders mühselig und anstrengend für ihn. Er bemühte sich inständig, die Sinfonie, die er mit seinem Gegner zusammen auf dem Schachbrett spielte, nicht durch irgendeinen Makel zu verderben. Aber natürlich war auch er von dem Wunsch beseelt, die Partie zu gewinnen.
Bei spielstarken Gegnern vernahm er die Geräusche der Figuren klar und deutlich. Wenn das Echo von den Fliesen im Duschraum zurückgeworfen wurde, entstand auf dem Brett ein bestimmter Ton. Darin lag weder das Verlangen, den Feind zu zerstören, noch affektierte Eitelkeit, unbedingt sein Können unter Beweis zu stellen. Die Finger eines Champions waren unprätentiös, so als hätten sie nur eine einzige Aufgabe: die Figur einfach an den Ort zu bringen, wohin sie will.
Egal, wie eine Partie ausging, die Prozedur danach war für den Kleinen Aljechin immer die gleiche. Händeschütteln, einmal Zwinkern, sonst nichts. Jedoch würde er nie Gelegenheit haben, zu sehen, was für ein Gesicht die Puppe
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