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Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
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und schaute verwundert aus dem Koffer heraus. Sein Blick ging in die Ferne, so als würde er über seinen nächsten Zug nachdenken. Als der Junge alles verstaut und den Deckel geschlossen hatte, war er schweißgebadet.
    Ohne sich eine Pause zu gönnen, machte er sich daran, auch den umgekehrten Vorgang einzuüben. Er holte den Kleinen Aljechin aus dem Koffer und setzte ihn wieder zusammen. Dabei musste er sich enorm konzentrieren, denn wenn er keine Sorgfalt walten ließe, wäre die linke Hand, mit der er die Figuren setzte, verstimmt. Sein Großvater und sein Bruder mussten an sich halten, um ihm nicht dazwischenzufunken.
    »Der Ozean des Schachs ist tiefer, als du denkst, mein Junge.« Diese Worte des Meisters kamen ihm wieder in den Sinn. Wie konnte ein solch einfaches Brett ein derart komplexes Universum in sich bergen? Der Kampf, den er gerade ausfocht, mochte ein Beweis dafür sein. Ja, der Ozean des Schachs ist tiefgründiger als der Klub am Grunde des Meeres. Nur muss es der wahre Ozean sein.
    Als er den Kleinen Aljechin wieder zusammengesetzt, Pawn in dessen rechte Armbeuge gesteckt und die Schachfiguren aufgestellt hatte, um sogleich im Innern der Puppe zu verschwinden, ertönte in der Werkstatt Beifall. Neben aller Begeisterung für das Vollbrachte schwang darin auch große Erleichterung mit.
    In diesem Augenblick hörten sie ein unerwartetes Klopfen. Der Großvater und sein Enkel hielten inne und drehten sich zur Tür. Der Junge erstarrte. Um diese Uhrzeit war bei ihnen kein Besuch mehr zu erwarten.
    Vielleicht war es der Generalsekretär? Hatte dieser Verdacht geschöpft und kam nun, um die Puppe abzuholen? Der Junge klammerte sich an den Hebel. Derweil wurde das Klopfen immer lauter.
    »Einen Moment bitte!« rief der Großvater und schloss die Tür auf.
    Mit der kalten Nachtluft drangen klackernde Absätze ins Haus. Es war die alte Dame. Ihre Schritte waren unverkennbar.
    »Verzeihen Sie bitte die späte Störung«, entschuldigte sie sich höflich. »Ich habe erfahren, dass die Reparatur des Schachautomaten gelungen sein soll, und wollte mich davon überzeugen, dass er nichts von seinem Können eingebüßt hat.«
    Sie verneigte sich und nahm auf einem Stuhl vor dem Schachtisch Platz, den der Großvater ihr angeboten hatte. Der Bruder war bereits ins obere Stockwerk gelaufen, um einen Tee zuzubereiten.
    Würde sie erkennen, dass die Puppe nicht nur repariert, sondern auch umgebaut worden war? Ahnte sie, dass der Kleine Aljechin seine Flucht aus dem Klub am Grunde des Meeres plante? Da sie so oft gegeneinander gespielt hatten, musste der alten Dame eigentlich jede kleine Änderung auffallen.
    Während der Junge sich den Kopf zerbrach, streifte sie ihre Spitzenhandschuhe ab und verstaute sie in ihrer Handtasche. Dann räusperte sie sich.
    »Wie lange mag es wohl her sein? Ich habe dieses Gefühl vermisst.«
    Sie strich mit den Fingern über den Rand des Bretts und griff nach dem Turm auf h1. Das Klacken ihres Rings, der an die Holzkante stieß, und das Geräusch des Turms, als er sein Feld verließ, waren im Inneren des Automaten deutlich zu hören. Der Turm war vermutlich erleichtert, sich in der Obhut dieser fürsorgenden Hände wiederzufinden. Und bestimmt war er bereit, dem feindlichen Lager mutig die Stirn zu bieten.
    »Der Kopf und das Ohr der Katze sehen aus wie vorher. Man würde es kaum für möglich halten, dass der armen Puppe ein solches Missgeschick widerfahren ist. Sie haben wirklich gute Arbeit geleistet.« Nachdem sie den Kleinen Aljechin eingehend gemustert hatte, wandte sie sich an den Großvater, der sich mit einer bescheidenen Verbeugung für dieses Lob bedankte.
    Spätestens jetzt hätte sie die Veränderungen an der Puppe bemerken müssen. Zum Beispiel die auffälligen Scharniere, die sich auf beiden Seiten des Tischs befanden. Außerdem war auf den Schnittkanten noch Sägemehl.
    »Hören Sie …«
    Die alte Dame schaute den Kleinen Aljechin an und lächelte.
    »Wie wäre es mit einer Partie? Jetzt, wo Sie wieder unter den Lebenden weilen?«
    Der Automat ging in Position und machte sich bereit.
    »Wäre heute keine gute Gelegenheit, um Ihr Comeback zu geben?« fügte sie lächelnd hinzu.
    Es war die erste und die letzte Schachpartie, die der Kleine Aljechin in der Werkstatt seines Großvaters spielte. Zugleich war es das erste und letzte Mal, dass die Großmutter miterleben durfte, wie ihr Enkel mit Schachfiguren eine Sinfonie schrieb.
    Der Bruder des Jungen hatte ihr erzählt, dass

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