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Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
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dass die Begegnungen mit dem Kleinen Aljechin tatsächlich stattgefunden hatten.
    Keiner im Klub wusste, wo die Puppe abgeblieben war. Und wie oft man den Generalsekretär auch fragte, er konnte niemandem darüber Auskunft geben.
    Vielleicht hing es mit diesem Umstand zusammen, dass der Generalsekretär bald darauf zurücktrat. Zwar wurde er zum Ehrenvorsitzenden ernannt, aber er ließ sich fortan im Klub nicht mehr blicken.
    Auch noch Jahre nach dem Verschwinden des Kleinen Aljechin, als bereits alle Mitglieder gestorben waren, die gegen ihn gespielt hatten, gab es gelegentlich Anfragen von Schachliebhabern, die gegen ihn antreten wollten.
    »Leider ist er augenblicklich indisponiert.«
    »Es stimmt, wir hatten mal einen Schachautomaten, aber der ist schon seit ewigen Zeiten verschollen.«
    »Es tut mir leid, aber das ist eine Legende. Ein Märchen aus den Anfangstagen des Klubs.«
    Alle nachfolgenden Sekretäre hatten eine Antwort parat, aber niemand hatte ein Ahnung davon, wer oder was der Kleine Aljechin überhaupt war.
    Die Notationen wurden zuweilen unter der Hand verkauft. Es waren jedoch allesamt Fälschungen. Wie gewieft die Schwindler auch vorgingen, niemand schaffte es, die Feinheiten im Spiel des Automaten wiederzugeben. Zudem war es unmöglich, Miiras Handschrift nachzunahmen. Nicht einer von denen, die im Besitz einer echten Notation waren, wäre auf die Idee gekommen, diese zu verkaufen. Diese Erinnerung an den Kleinen Aljechin war zu kostbar.
    Mit den Jahren wurde der Schachautomat zu einer wahren Ikone. Jedes Klubmitglied hätte alles dafür gegeben, einmal im Leben gegen den Kleinen Aljechin zu spielen und eine derart elegante Notation zu hinterlassen. Aber es blieben ihnen nur die Spuren am Meeresboden des Pazifik-Schachklubs.
    Mit den zwei Koffern im Gepäck verließ der Junge das Haus seiner Großeltern im Morgengrauen, als die ersten Möwen erwachten. Um sich zu vergewissern, dass er nichts vergessen hatte, war er ein letztes Mal in seinen Alkoven gekrochen. Dort an der Decke war immer noch das Schachbrett zu sehen, auf dem er Partien bedeutender Großmeister wie Morphy, Capablanca, Lasker, Steinitz und natürlich Aljechin nachgespielt hatte. Es war inzwischen verblasst, als hätte er jahrelang echte Figuren benutzt.
    Der Junge würde bald den Bus nehmen, trotzdem war sein Großvater wortkarg wie immer. Wie klein doch sein Enkel war, der eingeklemmt zwischen den beiden schweren Gepäckstücken stand, die ihm fast bis an die Brust reichten.
    »Sei vorsichtig«, sagte er und öffnete ein letztes Mal die Koffer, um sich davon zu überzeugen, dass alle Teile der Puppe auch ordentlich verstaut waren.
    »Mach dir bitte keine Sorgen«, erwiderte der Junge.
    Aber sosehr er seinen Großvater auch beruhigen wollte, der Alte hielt seinen Kopf gesenkt, als könne er vermeiden, sich von seinem Enkel verabschieden zu müssen.
    »Nun aber los«, drängte sein jüngerer Bruder mit resoluter Stimme.
    Sie begleiteten ihn zur Bushaltestelle.
    »Bitte kümmere dich um die beiden.«
    »Ich werde mir alle Mühe geben.«
    »Alles Gute!«
    »Macht euch um mich keine Sorgen!«
    Während die Brüder sich voneinander verabschiedeten, blieb der Großvater mit hängendem Kopf zurück.
    Abgesehen vom Fahrer war der Bus menschenleer. Der Junge setzte sich auf die hinterste Bank und lächelte den beiden durch die Scheibe zu. Sein Bruder winkte lebhaft, als der Bus losfuhr. Bald schon verblassten die Gestalten im Morgennebel.
    Traurig ließ der Junge seinen Blick durch den leeren Bus schweifen. Auf dem Platz, auf dem er saß, hatte sich das Schlaflager seines Meisters befunden. Etwas weiter vorne war die Küche gewesen, dann kam der Essplatz. Und da hatte der Schachtisch gestanden … Im Geiste ließ er die gesamte Einrichtung aus dem Bus seines Meisters Revue passieren. Fast meinte er, den Duft von frisch gebackenem Kuchen wahrzunehmen, und setzte sich auf. Aber es war nur ein fader Geruch von Benzin, der in der Luft hing.
    »Leb wohl, mein Meister«, sagte er in Richtung des Fahrers, der ihm den Rücken zugewandt hatte.
    Man konnte sich kaum vorstellen, welche Anstrengung der Junge darauf verwandte, um den Kleinen Aljechin in sein neues Heim zu befördern, ein Altenheim namens »Etüde«.
    Zwar hatte sein Großvater an die beiden Koffer Rollen montiert, aber sie waren so schwer, dass der Junge aufpassen musste, dass sie nicht umkippten und der Mechanismus des Automaten beschädigt wurde. Außerdem hatte er Angst, dass jemand

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