Schwimmen mit Elefanten - Roman
Abwechslung.«
»Sie werden bestimmt zufrieden sein.«
Zwar war dies das erste Bewerbungsgespräch, das er in seinem Leben führte, aber als langjähriger Begleiter des Kleinen Aljechin konnte er souverän Rede und Antwort stehen.
»Wo waren Sie denn vorher tätig?«
»Im Pazifik-Schach …«
»Ach, dort sind Sie Mitglied? Da fällt mir ja ein Stein vom Herzen. Soweit ich weiß, ist das ein sehr renommierter Verein. Einige unserer Gäste sind ehemalige Mitglieder.«
Er verschwieg, dass er genau genommen gar kein Mitglied war, und verkniff sich alle weiteren Ausführungen.
»Es wäre natürlich schön, wenn Sie neben dem Schachspielen noch weitere Fähigkeiten hätten. Dann könnten Sie Tätigkeiten übernehmen wie Geschirr spülen, die Zimmer reinigen, Gemüse anpflanzen …«
»Das kann ich tun«, antwortete er prompt.
»Gut, dann sind wir uns einig.«
Die Oberschwester streckte ihm die Hand entgegen, und sie besiegelten ihre Zusammenarbeit. Ihr Händedruck war so fest, dass der Junge das Gefühl hatte, er würde vollständig von ihr vereinnahmt.
»Sie sind unsere Rettung. Wo findet man schon einen Hausangestellten, der auch noch gut Schach spielen kann?«
»Wieso brauchen Sie eigentlich einen Schachspieler?«
Am Ende wollte er doch noch jene Frage loswerden, die ihn während des ganzen Gesprächs beschäftigt hatte.
»Weil alle Bewohner der Residenz der Schachunion angehören. Ein ehemaliger Präsident dieser Union hat sein ganzes Vermögen in eine Stiftung gesteckt, die diese Institution ins Leben gerufen hat.«
»Alle Bewohner?«
»Ja. Deshalb sind auch alle hier so wild darauf, jeden Tag eine Partie Schach zu spielen. Wir haben sogar sehr versierte Spieler, die an internationalen Turnieren teilgenommen haben. Denen kann man eigentlich keine durchschnittlichen Gegner zumuten, aber jetzt wird das schon gehen.«
»Glauben Sie?«
»Nun, wir haben doch den Kleinen Aljechin.«
Die Oberschwester machte eine Kopfbewegung in Richtung Koffer, wo der Haarschopf der Puppe herausschaute.
»Das eigentliche Problem mit unseren Bewohnern liegt nicht darin, dass sie vortrefflich Schach spielen, sondern dass sie alt sind. Verstehen Sie, was ich meine?«
Der Junge nickte vage.
»Es gibt etliche Bewohner, die nicht einschlafen können oder schon vor Morgengrauen aufstehen. Dann geistern sie durch die Flure, bis sie irgendwann im Schachzimmer landen. Dort sitzen sie dann vor dem Brett. Die meisten sind so vergesslich, dass sie sich nicht einmal ihre Zimmernummer merken können, aber wo die Schachtische stehen, daran erinnern sie sich genau. In solchen Momenten bräuchten sie einen Gegner. Man kann sie dann auch nicht mit faulen Tricks abspeisen, sie wollen jemanden, der mit Ernst bei der Sache ist. Dann sind sie genauso glücklich, als hätten sie tief und fest geschlafen.«
»Das kann ich gut nachempfinden.« Diesmal nickte der Junge voller Überzeugung. »In dieser Hinsicht bin ich … ich meine, ist der Kleine Aljechin besonders geeignet. Früher hat er die ganze Nacht über gespielt, bis zum Morgengrauen. Das ist die Zeit, die ihm am meisten behagt.«
»Großartig!« rief die Oberschwester. Dann erhob sie sich, steckte ihren Kugelschreiber in die Brusttasche und krempelte die Ärmel ihres Kittels hoch.
»Doch zuerst müssen wir ihre Hand verarzten.«
»Wieso?«
Verdutzt schaute der Junge auf seine Hände und bemerkte jetzt erst, wie schlimm sie zugerichtet waren. Durch das Gewicht der Koffer war die Haut an vielen Stellen abgeschürft, sodass das rohe Fleisch zu sehen war.
»Achtung!«
Die Oberschwester nahm sein Handgelenk und hantierte mit einer langen Pinzette, um in Desinfektionsmittel getränkte Wattepads auf die Wunden zu legen. Erst als die Tinktur über sein Handgelenk lief, spürte er den Schmerz. Es war ein dumpfer Schmerz, der ihm jedoch mit jedem Pulsschlag bis ins Mark drang.
»Es tut mir leid, dass ich Ihnen solche Umstände bereite.«
»Aber nicht doch. Das gehört zu meiner Arbeit. Schachspieler müssen auf ihre Hände aufpassen.«
Die Oberschwester nahm einen weiteren Wattepad und tunkte ihn in die Desinfektionsflüssigkeit.
Um genau zu sein, es war der vorletzte Präsident der Schachunion, der den ehrgeizigen Plan zum Bau von »Etüde« in die Tat umgesetzt hat. Vorher war das Gelände jahrelang eine Touristenattraktion gewesen, eine Farm mit Kinderparadies und einem Panoramablick auf die Stadt. Als die Betreiber Konkurs anmelden mussten, entschloss er sich, das Gelände zu
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