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Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
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erwerben, um dort eine Senioren-Residenz für betagte Mitglieder der Schachunion zu errichten. Sein Traum war ein Heim, wo alte Menschen ihren Lebensabend verbringen und ihrer nie versiegenden Leidenschaft für Schach nach Herzenslust frönen konnten.
    Der Präsident hatte schon lange mit dem Gebäudekomplex der Farm geliebäugelt. Jedes Gebäude – der Kuhstall, die Schäferei, die Molkerei und der Wohntrakt für das Personal – war ein exakt quadratischer Bau. Was dem Präsidenten zupass kam, denn er hegte eine Vorliebe für Quadrate, seit seine Leidenschaft für Schach geweckt worden war. Obwohl ihn Schafe und Kühe nicht im Geringsten interessierten, war er oft zu Besuch auf der Farm, und zwar nur, um sich die Gebäude anzuschauen. Abseits der Touristen, die sich beim Schafescheren oder dem Melken der Kühe vergnügten, inspizierte er die Karrees aus allen möglichen Blickwinkeln, um sich davon zu überzeugen, dass es tatsächlich perfekte Quadrate waren. Eines Tages, als er sich heimlich auf das Dach des Personaltrakts geschlichen hatte, von wo aus der die ganze Anlage überblicken konnte, stellte er mit Erstaunen fest, dass die einzelnen Gebäude die vier Eckpunkte eines noch größeren Quadrats bildeten. Verzückt über diese Entdeckung, fasste er seinen Plan. Mit Kuhstall, Schäferei, Molkerei und Personaltrakt als a1, h1, h8 und a8 könnte man ein überdimensionales Schachbrett errichten. Vielleicht sogar das größte der Welt. Das noch dazu einen Berg mit einschließt. Wäre dies nicht auch der geeignete Ort, wo die Mitglieder der Schachunion ihren Lebensabend verbringen könnten?
    Nachdem er das Gelände erworben hatte, setzte der Präsident zunächst a8, also den Personaltrakt instand. Dann engagierte er Pflegerinnen, Köche und Verwaltungsangestellte, damit der Betrieb aufgenommen werden konnte. Er hatte eigenhändig einen Plan für sechzig weitere Gebäude entworfen, um die fehlenden Felder zu ergänzen. Da sich jedoch die Renovierung von Kuhstall, Schäferei und Molkerei wegen Problemen bei der Geruchsbeseitigung hinzogen und der Neubau der sechzig Gebäude sich auch aus Kostengründen nicht sogleich verwirklichen ließ, bewirtschaftete man erst einmal nur den Personaltrakt.
    Bei der großen Einweihungsfeier hielt der Präsident vor einem blumenumkränzten Schild, auf dem »Etüde« geschrieben stand, eine lange Rede über die bevorstehende zweite und dritte Bauphase. Während der Rede wurden einige Gäste ohnmächtig und mussten ins Krankenhaus gebracht werden. Der Betroffene der ganzen Aufregung war jedoch der Präsident selbst, der am Tag nach der Einweihungsfeier einem Herzinfarkt erlag.
    Der anfänglich groß angelegte Plan wurde nun auf ein Minimum zurechtgestutzt. Da sich niemand fand, der den Enthusiasmus des Präsidenten teilte und das gigantische Ensemble vervollständigen wollte, blieb a8 das einzige Karree, das instand gesetzt wurde. Der Kuhstall, die Schäferei sowie die Molkerei verwahrlosten, bald erstreckte sich um die Anlage herum nur noch ödes Weideland. Viele Mitglieder der Schachunion waren inzwischen auch gestorben, sodass man vierundsechzig Trakte ohnehin nicht hätte füllen können. a8 reichte als Unterkunft völlig aus.
    Während die Oberschwester dem Jungen die Geschichte der Residenz erzählte, ließ ihn die Erwähnung des Feldes a8 aufhorchen. Es erinnerte ihn an den ertrunkenen Busfahrer im Schwimmbad. Der war mit dem Kopf dort an den Beckenrand gestoßen, wo sich auf dem Schachbrett das Feld a8 befand. Erst durch dessen tragisches Schicksal hatte der Junge Gelegenheit bekommen, seinen Meister kennenzulernen. Und da ihn seine Bestimmung in die Residenz »Etüde« geführt hatte, die die gleichen Koordinaten aufwies, hatte der tote Busfahrer bestimmt dafür gesorgt, dass der Kleine Aljechin hier unterkam.
    Der Traum des Präsidenten mochte zwar nie umgesetzt worden sein, aber er hatte überall in a8 Spuren hinterlassen. Beispielsweise gab es im Innenhof eine Fläche mit acht mal acht Feldern, die mit schwarzen und weißen Kieselsteinen bedeckt war. Als der Junge es zum ersten Mal erblickte, bekam er einen riesigen Schreck, denn es erinnerte ihn an das Lebendschach im Klub am Grunde des Meeres. Aber sein Argwohn verflog, nachdem er erfuhr, dass ein stillschweigendes Gesetz das Betreten des Innenhofs untersagte. Es konnte ja sein, dass ein Gast von der Veranda aus in Gedanken eine Partie nachspielte. Da hätte eine echte Partie nur gestört, und so achtete man darauf, dass

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