Schwimmen mit Elefanten - Roman
niemand die schwarzen und weißen Kiesel durcheinanderbrachte.
Auch der Fußboden in der Eingangshalle war mit einem schwarzweißen Fliesenmuster versehen. Die Schilder zu den Waschräumen zierten Abbildungen von Dame und König, wenn ein Zimmerwechsel vorgenommen werden musste, sprach man von einer Rochade. Verweise ans Schachspielen begegneten einem in allen möglichen Ecken und Winkeln. Jedoch waren sie nie aufdringlich, sondern hielten sich dezent im Hintergrund.
Die Atmosphäre hier, wo Schachspielen und Wohnen so harmonisch ineinanderflossen, hatte einiges mit dem Bus des Meisters gemein. Trotz dieser beruhigenden Feststellung plagten zwei Sorgen den Jungen. Eine Sorge war, dass man hier nur mit einer Seilbahn heraufkam, denn durch den Wald führte kein Weg. Der einzige Bergpfad für Wanderer war schon seit Langem durch einen Erdrutsch versperrt.
Die Kabinenbahn stammte aus den glanzvollen Tagen der Touristenfarm, was man vor allem am Baustil der Talstation erkennen konnte, in deren Warteraum verblichene Veranstaltungsplakate hingen. Inzwischen war sie so heruntergekommen, dass man sich besorgt fragte, ob auch alles ordnungsgemäß funktionierte. Das Räderwerk ächzte, die Masten waren voll mit Vogelkot, und die Seile hingen am Berghang schlaff durch. Außerdem waren die Scheiben der Panoramafenster gesprungen. An der für acht Personen zugelassenen, mittlerweile vom Rost zerfressenen Gondel blätterte der Lack ab, was den Schriftzug der Touristenfarm fast unlesbar machte.
»Willst du nicht einsteigen?« hatte ihn ein alter Mann in einem mausgrauen Arbeitskittel gefragt, nachdem er bei seiner Anreise völlig erschöpft aus dem Zug gestiegen und wie angewurzelt vor der Talstation stehen geblieben war. Der Alte war offensichtlich der Gondelführer, aber seine krächzende Stimme und die gebeugte Haltung wirkten ebenfalls wenig vertrauenerweckend.
»Meinen Sie, dass ich diese beiden Koffer mitnehmen kann?« hatte der Junge gefragt.
»Im Prinzip schon. Hier steht geschrieben, die Höchstlast beträgt sechshundertvierzig Kilo«, antwortete der Mann und versuchte, mit dem Ärmel die von Schimmel überzogene Plakette sauber zu wischen. »Das dürfte kein Problem sein. Sie selbst fallen ja wohl kaum ins Gewicht. Also los, steigen Sie ein!«
Der Fahrer schlurfte mit den Koffern voran und stellte sie in der Kabine ab.
»Sind Sie sicher, dass wir unterwegs nicht hängen bleiben? Ich hoffe, dass die Seilbahn auch wieder runterfahren kann.«
Bis sich die Kabinentür schloss, stellte er alle erdenklichen Fragen, auf die der Alte nur ausweichend antwortete.
»Sagen Sie, was ist da eigentlich drin?« erkundigte er sich und zeigte auf die Koffer.
»Ein Schachbrett.«
Der Mann riss die Augen auf, und ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
»Machen Sie sich keine Sorgen! Seit es die Residenz gibt, ist die Seilbahn höchstens drei, vier Mal wegen einer Betriebsstörung stehen geblieben. Ich werde Sie schon wohlbehalten abliefern.«
Der Fahrer verriegelte schwungvoll die Tür, betrat die Steuerkabine und bediente den Starthebel.
Erst später erfuhr der Junge, dass der Gondelführer auch ein ehemaliges Mitglied der Schachunion war und einen Zwillingsbruder hatte, der oben auf der Bergstation den gleichen Dienst verrichtete.
Mit einem Quietschen, das laut durch die Wälder hallte, setzten sich die Zahnräder in Gang, die Gondel ruckte, dann glitt sie schwerfällig an den Seilen hoch. Ihr Gewicht und der Wind trugen dazu bei, dass die Seile gefährlich schwankten. Jedes Mal, wenn die Gondel einen Trägermast passierte, wurde sie langsamer und nahm dann wieder Fahrt auf, jedoch noch stärker schaukelnd als zuvor. Unterwegs begegneten sie der leeren Kabine, die talabwärts fuhr.
Ängstlich sah der Junge durch die zersprungene Scheibe den Gipfel näher kommen und klammerte sich an die Griffe der beiden Koffer. Inzwischen war die Talstation hinter den Bäumen verschwunden.
Der Junge holte einen schwarzen und einen weißen Läufer aus dem Beutel.
»Alles wird gut«, sagte er.
Die Würfelform der Gondel beruhigte ihn. Der altersschwache Motor, der so bedenklich stotterte, dass er jeden Augenblick auszugehen drohte, jagte ihm jetzt keine Angst mehr ein. Die Decke, der Boden und die Seitenwände waren absolut quadratisch. Man hätte im Nu ein Schachmuster mit acht mal acht Feldern zeichnen können. In dieser Hinsicht gab die Kabine dem Jungen ein Gefühl von Geborgenheit.
Als sie an der Bergstation hielten und sich die
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