Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
Vom Netzwerk:
einem Musikzimmer, einem Tanzsaal und einer Bibliothek ausgestattet. Dort befand sich auch das »Schachzimmer« – ein großzügiger, lichtdurchfluteter Raum mit einem wunderbaren Ausblick. Der schönste Teil der Residenz war also den Schachspielern vorbehalten.
    Dort standen sechs Schachtische sowie zwölf bequeme Lehnstühle, und es war immer noch reichlich Platz vorhanden. Durch die Fenster blickte man auf die Ortschaften am Fuße der Berge und eine weite Ebene, die bis ans Meer reichte. Der Raum war mit dicken Teppichen ausgelegt, in einer Ecke stand ein mit Brennholz beheizter Ofen, der eine angenehme Wärme verbreitete. Hier gab es die perfekte Atmosphäre, um sich voll und ganz auf Schach zu konzentrieren. Es herrschte weder die protzige Gediegenheit des Pazifik-Schachklubs noch die gespenstische Kälte des Klubs am Grund des Meeres.
    Der Kleine Aljechin sollte in der Nähe des Ofens stehen.
    »Aber doch nicht da in der Ecke. Setzen Sie ihn ruhig mehr in die Mitte, damit man ihn besser sehen kann. Er sticht sowieso ins Auge, verglichen mit den anderen Schachtischen«, sagte die Oberschwester, während der Junge die Puppe zusammenbaute.
    »Nein, das wäre nicht gut.«
    Er hielt kurz inne, bevor er den rechten Arm in die Schulter steckte.
    »Die anderen Tische sollen nicht ins Abseits gedrängt werden. Der Platz in der Ecke ist angemessen. Und außerdem viel bequemer.«
    »Meinen Sie? Nun ja, das überlasse ich Ihnen«, erwiderte die Oberschwester.
    Während sie an dem Stethoskop herumfummelte, das ihr um den Hals hing, überwachte sie den Aufbau des Automaten und sah staunend zu, wie die Puppe langsam Formen annahm. Ab und zu stellte sie Fragen wie: »Wo wird das denn befestigt?« oder »Welches ist der Hebel, mit dem man den Daumen bewegen kann?« Einmal bat sie auch um Erlaubnis, die Puppe anfassen zu dürfen.
    »Nur zu«, sagte der Junge, woraufhin sie vorsichtig die Augenlider, den Halsansatz und die Fingerspitzen berührte. Es sah aus, als behandele sie eine Wunde.
    Ihm kam wieder Miira in den Sinn, wie sie die Zuschauer ermahnt hatte – »Ich bitte Sie inständig, die Puppe nicht zu berühren« –, und er stieß einen tiefen Seufzer aus. Natürlich gab es hier weder Fliesen noch eine weiße Taube, sondern nur einen Ofen mit knisternden Holzscheiten.
    Als zum Schluss der Kater Pawn seinen angestammten Platz in der rechten Armbeuge einnahm, schaute die Oberschwester zwischen dem Jungen und dem Automaten hin und her und nickte beifällig.
    »Ein kluges Tier«, sagte sie freundlich lächelnd und deutete auf den Kater.
    »Ja, das stimmt«, sagte er und lächelte zurück.
    Der Kleine Aljechin schien glücklich darüber, endlich nicht mehr in dem engen Koffer eingesperrt zu sein. Jedoch wirkte er erschöpft nach der langen Reise und schaute etwas ratlos drein angesichts der unbekannten Umgebung. Seine linke Hand hatte jedoch nichts von ihrer Spannkraft verloren und war bereit, eine Figur zu ergreifen, sobald es erforderlich war.
    Gleich nachdem der Junge in der Residenz eingetroffen war, hatte ihn die Oberschwester in ihrem Stationszimmer zu einem Vorstellungsgespräch gebeten.
    »Ehrlich gesagt, ich habe nicht die geringste Ahnung von Schach.«
    Sie trug eine gestärkte weiße Schwesterntracht, die ihr bis zu den Knien reichte, und ein Häubchen, das mit unzähligen Haarnadeln festgesteckt war.
    »War Aljechin ein guter Schachspieler?«
    »Ja, das war er.« Er nickte ehrfürchtig. »Gut ist gar kein Ausdruck. Er war so großartig, dass einem die Worte fehlen, um zu beschreiben, wie er Schach spielte.«
    »Oh!« rief sie erfreut. »Und Sie sind genauso gut wie dieser Aljechin?«
    »Nein, ganz und gar nicht«, wehrte der Junge mit einem hastigen Kopfschütteln ab. »Ich selbst nicht, er ist das Genie.«
    Er hob den Deckel vom Koffer und zeigte ihr den Kleinen Aljechin. Zu sehen war lediglich sein brünetter Haarschopf, aus dem ein fein modelliertes Ohr herausragte. Sie stutzte und sagte dann:
    »Das ist eine Puppe.«
    »Ja, das ist eine Puppe.«
    »Und die kann Schach spielen?«
    »Ja.«
    »So wie Aljechin?«
    »Gewissermaßen. Deshalb trägt sie ja auch den Namen ›Kleiner Aljechin‹.«
    »Ich verstehe.« Sie steckte eine weiße Haarsträhne unter ihre Haube.
    »Es ist ein wenig überraschend, dass Sie mir eine Puppe vorbeibringen, da wir die Stelle eigentlich für Schachspieler ausgeschrieben haben. Aber vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Unsere Gäste brauchen schließlich auch mal ein bisschen

Weitere Kostenlose Bücher