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Schwindel

Titel: Schwindel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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Gartenstuhl fallen. »Ich muss noch
     mal zurück«, sagte ich schniefend und schüttete mir aus der Thermoskanne, die auf dem Tisch stand, einen Schwall Tee in Julians
     Tasse. Es war dampfender, gut gezuckerter Rooibos, an dem ich mir die Zunge verbrannte.
    »
Was
musst du?«, fragte Julian ungläubig und nahm widerstrebend auf dem zweiten Stuhl Platz.
    »Noch mal in den Wald! Da liegt ein Junge, der zusammengeschlagen worden ist. Von vier Jugendlichen aus einem Geländewagen.
     Ich hab alles gesehen, das waren richtige Brutalos; ein Mädchen war auch dabei, die haben den   …«
    »Ach, du Scheiße!«, rief Julian aus und fasste sich an die Stirn.
    »Ja«, jaulte ich, senkte den Blick und hielt mich mit den Händen am Becher fest, »ich hatte eine Wahnsinnsangst, dass sie
     mir auch was tun, aber sie haben mich nicht bemerkt.«
    »Gut! Gut, dass dir nichts passiert ist.« Julian schien erleichtert, wenn auch verwirrt und abgelenkt. »Nicht so laut, Eva!
     Dieser Junge   … hat der dich gesehen?«
    »Klar, ich bin ja zu ihm hin, hab gesagt, ich hole die Polizei oder einen Krankenwagen   …«
    Julian riss die Augen auf und ergriff meine Hände, presste sie gegen die heiße Tasse. Ich verstand das als Aufforderung weiterzuerzählen
     und schilderte schnell die ganze Situation.
    Mein Freund hörte mir zu, sichtlich betroffen. Dann jedoch holte er tief Luft, blickte wieder nach links und rechts, als wolle
     er mögliche Mithörer ausschließen, schob die Tasse zur Seite, legte meine aufgeheizten Hände in seinen kühlen Nacken, wobei
     er sich mit dem Oberkörper so weit über den Tisch lehnte, dass unsere Gesichter sich fast berührten, und sagte leise und eindringlich:
     »Das war sehr schlimm für dich und tut mir leid. Trotzdem: Keine Panik! Wenn der Typ keine Hilfe will, dann braucht er auch
     keine. Das hat bestimmt schlimmer ausgesehen, als es ist. Ich denke, man muss sich auch nicht in alles einmischen. Du bist
     aufgeregt, Evchen, das bin ich auch. Ich hab auch einen Schrecken bekommen. Aber ich denke, wir dürfen uns da nicht reinsteigern.
     Die Polizei zu holen ist sicher übertrieben. Nein, warte! Schrei nicht gleich wieder los, hör mir zu:Ich bin sicher, dass das bloß eine deftige Meinungsverschiedenheit zwischen Jugendlichen war, eine Art Schulhofrangelei –
     von außen erschreckend anzusehen, aber letztendlich halb so wild. Mensch, vielleicht hat dieser Typ einem anderen die Freundin
     ausgespannt!« Er lächelte gezwungen, küsste meine Tränen weg, allerdings erfolglos, weil ständig neue strömten. Zärtlich fügte
     er hinzu: »Du warst allein im dunklen Wald, du kanntest dich nicht aus, du wusstest nicht, worum’s geht, du hast das viel
     schlimmer empfunden, als es letztendlich war. Kann man ja auch verstehen.«
    Bestimmt wollte Julian mich mit diesen Worten beruhigen, bestimmt sagte er sie in bester Absicht, als Trost und Hilfe, aber
     ich fühlte mich bevormundet.
    Natürlich, dachte ich trotzig, so wird’s gewesen sein! Ich habe mal wieder zu empfindlich reagiert und Julian hat recht, der
     Junge ist einfach ein bisschen geärgert worden, liegt nicht verletzt im Wald, sondern markiert nur, weil er einfach ein dummer
     kleiner Schisser ist, der sofort losheult, wenn ihm einer die Kappe wegnimmt. So wie ich eine bin, die aus jeder Mücke einen
     Elefanten macht und in jedem fremden Menschen erst mal einen potenziellen Feind wittert. Ich zog meine Hände von seinen weg,
     er bemerkte meine Verärgerung und lenkte ein.
    »Ich war nicht dabei, Evchen, ich kann das nicht beurteilen, aber überleg mal: Wenn er dich weggeschickt hat, wenn er gerufen
     hat, dass du gehen sollst, dann war ihm die Sache bestimmt peinlich. Wir machen natürlich das, was du für richtig hältst.
     Aber meinst du wirklich, du hilfst ihm damit, wenn du jetzt einen Riesenaufstandmachst und ihn von der Polizei nach Hause bringen lässt? Vielleicht will er die Sache lieber selbst regeln?«
    Ich zögerte. Diese Argumente leuchteten mir schon eher ein. Auch ich behielt meinen Kummer lieber für mich und konnte es nicht
     haben, wenn meine Eltern zu allem und jedem ihre Kommentare abgaben. Wenn ich sie später anrief, um ihnen zu sagen, dass ich
     angekommen war, würde ich ihnen nichts von dem Erlebnis im Wald erzählen, denn was sie sagen würden, konnte ich mir an drei
     Fingern ausrechnen.
    »Höchstwahrscheinlich liegt er gar nicht mehr dort. Er wird ja nicht halb tot und blutüberströmt gewesen sein,

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