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Schwindel

Titel: Schwindel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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über die Augen und schob das Kinn vor.
    Der Mann wandte sich mir zu. »Es gefällt Ihnen nicht bei uns, was?«
    Klang da Spott mit? Vollmer stemmte die Hände in die Hüften und musterte mich. Obwohl Julian ihn mir als absoluten Widerling
     beschrieben hatte, musste ich zugeben, dass er, neutral und bei Tageslicht betrachtet, nicht unattraktiv aussah: sportlich,
     braun gebrannt und mit honigblonden Haaren, die für einen Ordnungsfreak etwas zu strubbelig waren. Er war jünger, als ich
     gedacht hatte, trug legere Kleidung: ausgewaschene Jeans mit bunten Farbspritzern und ein Holzfällerhemd, das bis zu den Ellbogen
     hochgekrempelt war, sodass mir derlange, blutige Kratzer auf seinem Unterarm sofort auffiel.
    Vollmer fiel mein Blick auf. »Hecke geschnitten, Dach repariert, Rosen gepflanzt. Einer muss ja dafür sorgen, dass die Mühle
     erhalten bleibt, die Jungs tun ja keinen Handschlag dafür! Klauen mir stattdessen die Rosen und Tagetes direkt unterm Küchenfenster
     weg, und wenn ich den Herrn Wende hier bitte, drei Tage die Katze zu füttern, weil wir nicht da sind, schafft er nicht mal
     das.«
    »Die Mohrle hat’s ja überlebt, es gibt hier doch genug Mäuse.« Julian verschränkte die Arme vor der Brust und verschwand im
     Haus.
    Ich rührte mich nicht. Vollmer hatte das Dach repariert? Allein? Also ohne Julians Hilfe? Oder wie sollte ich das verstehen?
    »Sie haben sich noch gar nicht geäußert, junge Frau!« Er schob den Ärmel herunter, grinste mich an. Da war etwas Provozierendes
     in seinem Blick. »Haben Sie Angst, Ihre Meinung zu sagen?«
    Gern hätte ich etwas Schlagfertiges erwidert, aber mir kam kein Laut über die Lippen. Vollmer sah mich derart zornig an, dass
     ich eine Gänsehaut bekam. Warum? Was hatte er gegen mich? War er also wirklich ein geheimer Sadist, wie Julian gesagt hatte?
     Er schien keine Antwort zu erwarten, sondern drehte sich um und steuerte auf seine Wohnung zu.
    Über ihm, am Fenster im ersten Stock, stand eine Gestalt hinter der Gardine. Der junge Mann verschwand, als er meinen Blick
     bemerkte.
    Wer war das? War das nicht der Junge aus dem Wald?War der Vollmers Sohn? Ja, dann wäre klar, warum sein Vater mich so böse angesehen hatte! Und dann wäre auch klar, warum er
     gestern Abend sein Jagdgewehr mitgenommen hatte. Womöglich wollte er gar nicht jagen gehen, sondern seinen Sohn suchen und
     ihn beschützen.
    Ich stürmte ins Haus. Julian hatte sich auf die Couch gesetzt und die Arme vor der Brust verschränkt. Er wirkte erschöpft.
     Sein erster Satz sollte wohl versöhnlich klingen. »Hast du dein Tagebuch wenigstens gefunden?«
    »Nein.« Entschlossen, die vielen Fragen in meinem Kopf zu klären, setzte ich mich in den Sessel ihm gegenüber. »Julian, hat
     Vollmer zufällig einen Sohn?«
    »Woher weißt du denn das schon wieder?«
    »Er stand gerade am Fenster.«
    »Und? Was soll’s? Der ist unwichtig. Noch zehnmal blöder als sein Vater. Bernd wird hier im Ort zumindest ernst genommen,
     weil er stellvertretender Schulleiter am Gymnasium ist. Mirko ist der totale Loser, den beachtet niemand. Deshalb hab ich
     ihn dir gegenüber auch nicht erwähnt.«
    »Wäre aber nett gewesen. Ich habe mich nämlich erschrocken, als er plötzlich so dastand.«
    »Kann’s vielleicht sein, dass du dich ziemlich oft erschrickst?«, konterte Julian.
    Das nahm mir im Nu den Wind aus den Segeln. Und ob ich das tat – das war sozusagen meine Spezialität. Ich schwieg und verknotete
     meine Finger ineinander, so wie ich es beim Fuchs immer mache.
    Auch Julian saß verkrampft da. Die Atmosphäre warso angespannt, dass ich befürchtete, jeden Moment Kopfschmerzen zu bekommen.
    Schließlich hielt ich das Schweigen nicht mehr aus und sagte, was ich sagen musste: »Ich glaube, Julian, dieser Mirko ist
     genau der Junge, den deine Freunde gestern verprügelt haben. Und ich glaube auch, dass sein Vater gestern unser Gespräch gehört
     und Mirko dann aus dem Wald geholt hat.«
    »Oje!« Julian raufte sich die Haare, sah jetzt fast verzweifelt aus.
    Für einen winzigen Augenblick befürchtete ich, er werde gleich 1000 unwiderlegbare Argumente gegen meine Vermutung aufführen
     und mich anschließend für völlig übergeschnappt erklären. Wahrscheinlich wäre ich nur allzu bereit, ihm zu glauben, obwohl
     ich mir inzwischen sicher war, kapiert zu haben, wie alles zusammenhing:
    Falls ich nämlich recht haben sollte und Julians Freunde tatsächlich den Sohn seines Vermieters zusammengeschlagen

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