Schwindel
meinerseits auszuziehen. Seine
Hände und Küsse scheuchten auch die letzten Gedanken weg. Unter der Decke hatten sowieso nur unsere warmen Körper Platz.
Lange lagen wir danach eng umschlungen zusammen, während die Bettdecke längst zu Boden gerutscht war. Ich war glücklich, wenn
auch nicht so überwältigend glücklich, wie ich gedacht hatte. Viel wichtiger war, dass ich es getan hatte und dass es ziemlich
schön gewesen war. Es kam mir vor, als hätte ich dadurch einen weiteren Schritt zu meiner Befreiung und Selbstständigkeit
gemacht. Ich hatte Angst gehabt vor dem ersten Mal und jetzt war ich stolz, es ausprobiert und für mich entdeckt zu haben.
So albern das klang, ich kam mir vor wie damals, als ich endlich mit Mühe lesen gelernt hatte und nun die ganze Welt der Bücher
vor mir lag. Ich kuschelte mich an Julian, lauschte auf seine ruhiger werdenden Atemzüge, zog die Decke wieder über uns und
beobachtete mit einer Mischungaus Aufbruchstimmung, Fernweh und wohliger Müdigkeit die Berge von Wolken, die am Fenster vorbeizogen.
13
Dieses besondere Erlebnis hätte eigentlich einen würdigen Eintrag in meinem Tagebuch verdient. Natürlich konnte ich es aufschreiben,
ich hatte jetzt ein neues Buch, aber vielleicht war das alte doch noch zu finden?
Julian schlief tief und fest. Lange würde ich nicht bleiben, ich würde nur zu der Stelle gehen, an der ich mich verlaufen
hatte, in zehn Minuten, maximal zwanzig, wäre ich zurück. Vielleicht würde er es gar nicht merken. Ich löste vorsichtig meine
Hand aus seiner, erhob mich ganz leise vom Bett. In meinem Bauch war noch immer dieses eigenartige Gefühl, dies fremde, erwachsene.
Ich warf einen Blick auf meinen Körper im Spiegel des Kleiderschranks. Auch wenn ich mit den roten Wangen und den zerwühlten
Haaren etwas mitgenommen aussah, fand ich mich hübscher als zuvor. Ich war eine Superfrau, so!
Und Julian, der Süße, war doch der beste Junge der Welt! Er schnarchte leicht, drehte sich auf den Bauch und umklammerte sein
Kopfkissen. Na, da hatte er ja was zum Schmusen, da würde er mich vielleicht nicht allzu bald vermissen.
Ich zog mich rasch an, schlich die Treppe hinunter und zur Terrassentür hinaus. Vollmers Katze kam und strich um meine Beine.
Ich streichelte kurz ihr schwarzes,von der Sonne aufgeheiztes Fell, was sie mir mit einem wohligen Schnurren dankte, und lief dann los: in Kapuzenshirt und Turnschuhen,
so als wolle ich nur mal kurz joggen gehen, nachdem ich eben mit meinem Liebsten … Oh, was war ich stolz! Gerade beim Lauf durch den Wald merkte ich, wie energiegeladen und glücklich ich war, ich sauste
ab wie eine Rakete, sang, sprang über Baumwurzeln – und schrie auf, als ich plötzlich vor einem Polizisten mit einem Schäferhund
stand.
»Nicht erschrecken!«, sagte der grauhaarige Mann, grinste ein bisschen und wies den Hund an, sich neben ihn zu setzen. »Wohin
des Wegs? Nach Munkelbach?«
»Ja, äh, nein, ich habe hier gestern etwas verloren. Ein Tagebuch.«
»Ein Tagebuch?«, fragte er erstaunt. Erst jetzt bemerkte ich, dass er nicht allein unterwegs war, in einigem Abstand sah ich
weitere Beamte, die den Wald durchkämmten. »Wir suchen hier nach einem verschwundenen Mädchen.« Seine Stimme klang sehr ernst,
so als müsse ich mich schämen, dass ich wegen etwas so Belanglosem wie einem Tagebuch meine Zeit vertrödelte.
»Oh Gott, ja!« Die vermisste Alina hatte ich ganz vergessen! Sofort kam mir der Wald bedrohlich und mein Entschluss, allein
hier herumzurennen, höchst leichtsinnig vor. »Davon habe ich in der Zeitung gelesen.«
»Sind Sie aus Munkelbach? Kennen Sie das Mädchen?« Der Polizist nahm routinemäßig einen Notizblock heraus und gab seinen Kollegen
ein Zeichen, dass er mich befragen und gleich nachkommen würde.
»Nein, ich bin erst gestern Abend hier angekommen. Ich mache Urlaub bei meinem Freund in der Rauschenmühle.«
»Vollmer?«
»Was? Nein! Bei Julian Wende! Seine Eltern haben ein Apartment dort gemietet.«
Der Polizist nickte und fragte nach meinem Namen und Alter. Ich antwortete mechanisch, wobei ich mich fragte, wie um alles
in der Welt dieser Mann annehmen könnte, der kauzige Vermieter Vollmer sei
mein Freund
.
»Sie haben Ihr Tagebuch hier im Wald verloren?«
»Ja, auf dem Weg vom Bahnhof zur Mühle. Ich war sehr in Eile, da ist wohl der Rucksack aufgerissen und das Buch rausgerutscht.«
»Hm. Hat Ihr Freund Sie nicht abgeholt?«
»Der
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