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Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Titel: Schwindlerinnen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Ekman
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mit deinem Telefon als Ausgangspunkt, Gertrud.«
    Auf ein kleines Podium hatte man einen Stuhl gestellt, einen Notenständer, wozu auch immer Lasse den brauchen sollte, und einen Tisch mit einer Geranie und einem Wasserglas. Es war so voll, dass wir ganz vorn an einem Tisch landeten, an dem zwei Alte saßen, eine Frau, die auf ihrem blanken Schädel nur noch ein paar dünne Haarsträhnen hatte, und ein kleiner Mann mit munteren Augen und einem Pissfleck am Hosenschlitz. Die alte Frau war mit ihrem Gebiss zugange. Sie tat die obere Hälfte raus und rein und begutachtete sie genau. Ich empfand in dem Moment einen tief gehenden Schrecken vor dem Altwerden. Aber da begann Lasse seine Geige zu stimmen, und nach einem Weilchen erklang seine ruhige dunkle Stimme. Die Ältesten machten sich nichts aus Worten, doch als die ersten Bogenstriche zu hören waren, beugten sich viele vor und bewegten sich leise. Dass sie sich wiegten, wäre zu viel gesagt, aber es saß noch Musik in ihren Körpern und lebte auf, als sie dem Geigenspiel begegnete.
    Die alte Oma neben mir tat weiterhin ihre oberen Zähne raus und rein, und der Anblick wurde ein bisschen unerträglich, nachdem sie von der Torte gegessen hatte, die das Personal während Lasses Auftritt servierte. Die Pflegerinnen verteilten auch Kaffee und schenkten nach, und ich wunderte mich, dass Lasse so große Geduld mit den Alten hatte. Normalerweise tolerierte er nicht, dass während seines Auftritts Krach gemacht wurde, und hier schepperte es nun, wenn ungeschickte Hände die Tassen hoben oder auf die Untertasse setzten. Es wurde geschlürft und Kaffee durch Zuckerstücke eingesogen, aber nicht aus der Untertasse getrunken. Diese Methode, den Kaffee abzukühlen, ist nichts für Tatterer.
    Ich glaube, in der Musik schwang der Geruch der Moore und der heißen Liebe, der Räusche und der harten Arbeit. Lasse hatte mir erklärt, Musik kenne weder Grenzen noch Entfernungen. In einer Polska gebe es Melodieschnörkel, die Leute aufgeschnappt hätten, wenn die Gutsherrentochter hinter den Fenstern auf dem Tafelklavier spielte. Es steckten Musikfragmente darin und ganze Melodien aus Arabien und von noch weiter her. Sie seien als Wiegenlieder und als Trinklieder gewandert, und es sei sinnlos, von Dur oder Moll zu sprechen, von Trauer oder Freude.
    Der kleine Opa neben mir, der jetzt stark roch, bewegte die Arme zu einem Marschlied aus Orsa und vergaß seinen Kaffee. Die Oma mit den Zähnen schien in ihrem eigenen Limbus versunken zu sein. Lasse bat die Zuhörer jetzt, ihm beim Repertoire behilflich zu sein, da er sein Buch zu Hause vergessen habe, und so wünschten sie sich was.
    »Dazu muss ich jetzt wohl meine alte Quetsche rausholen«, sagte er und entnahm seiner großen Tasche eine Ziehharmonika. Es ging wie ein Stromstoß durch die gealterten Körper, als er Svinnsta skär spielte. Und dann gab es Jazz, ja er ließ ihnen Erik Franks Novelty accordion zuteilwerden, und ich begriff nicht, wie er sich an etwas so Schwieriges heranwagte. Doch es gelang ihm, ich kann es nicht anders nennen, mit Akkuratesse. Allerdings wirkte er dabei etwas angespannt.
    Dann rief jemand: »Grüß mir die zu Hause!«, und er begann etwas suchend, wie man sich vorstellen kann, wenn man den Schritt von Novelty accordion zur schwedischen Hitparade macht, doch er fand, was er suchte, und die prachtvolle Knopfharmonika aus der Akkordeonfabrik in Älvdalen jubilierte. Da erklang eine klare Stimme an meiner Seite. Es war die Oma, die jetzt ihre Zähne eingesetzt hatte und sang:
    Grüß mir die zu Hause,
    grüß die Eltern mein,
    grüß das grüne Wäldchen,
    grüß mein Brüderlein.
    Wenn ich Flügel hätte,
    flöge ich mit dir,
    Schwalbe, flieg zur Heimat,
    grüße sie von mir.
    Zurück in Gertruds Küche fragte ich Lasse, wie solche Wunder möglich seien, dass eine demente alte Oma sich an ein Lied erinnerte, das sie in ihrer Jugend gehört hatte. Er sagte, die Musik würde uns als Letztes verlassen – und womöglich verlasse sie uns nie. Dann begannen er und Evert wieder über den Ablauf zu diskutieren, und sie legten fest, wann Lasse wiederkommen sollte.
    »Du kommst doch wieder mit rauf«, sagte er am Abend, als wir im Heck des Bjølseths das Bett hergerichtet hatten und beieinanderlagen. »Ich muss nach Rättvik runter und Werkzeug und Rohre holen, und Evert muss irgendwo einen Bagger besorgen. Es wäre schön, wenn du wieder mit raufkommen würdest. Ich finde, wir sollten uns nicht trennen, jetzt nicht

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