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Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Titel: Schwindlerinnen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Ekman
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verbarg.
    »Ein Dorf braucht einen Ort, an dem man zusammenkommen kann«, sagte Lasse. »Gemeinschaftseinrichtungen gibt es ja keine mehr. Das Postamt ist längst weg, der Laden ist geschlossen. Aber hier haben die Leute was, wo sie miteinander reden können, und im Sommer ist mordsmäßig was los durch Besucher von auswärts.«
    Anfangs war das Geschäft GEBRAUCHT – MÖBEL KLEIDER TRÖDEL eine Anlaufstelle für die unmittelbare Nachbarschaft gewesen. Jetzt kamen die Leute von weit her, um etwas zu kaufen, und manche, um etwas in Kommission zu geben.
    Ich kaufte eine Kuckucksuhr als Ersatz für die, welche ich in Örnäs zerdeppert hatte, die vier Bersåteetassen, einen Wandbehang aus Seidensamt mit zwei King Charles Spaniels in einem Körbchen sowie eine Kiste mit Büchern, darunter Erskine Caldwells Die Tabakstraße . Als ich mich im Wohnwagen damit hinsetzte, entdeckte ich, dass es die schwedische Erstausgabe von 1945 war. Da wurde die Vergangenheit wieder wach, und ich erinnerte mich, wie ich Die Tabakstraße zum ersten Mal gelesen hatte, wie Caldwell die Armut sowohl urkomisch als auch ergreifend schildert und wie erstaunt ich gewesen war, dass er sich das traute. Und ich erinnerte mich an Olov Jonason, der das Buch übersetzt hatte, und an seine Kurzgeschichten in Parabellum. Ich glaube, sie wurden in der Zeit geschrieben, die damals Bereitschaft hieß, ein Zustand, der sicherlich trotz der latent drohenden Okkupation todlangweilig gewesen war.
    Ich dachte: Ihr seid wahrscheinlich vergessen, weil man euch in einem Pappkarton mit der Aufschrift BÜCHER
10 KRONEN findet, so vergessen, wie Lillemor Troj irgendwann in Pappkartons vergessen und verkauft oder schlichtweg verschenkt sein wird. Ihr habt aber geschrieben, um den Überdruss und die zermürbenden Wiederholungen des Lebens und jenen grauen Star der Seele zu besiegen, die stets unsere Lebenslust auszulöschen drohen. Und ihr habt es obendrein gut gemacht. Besser als ich, aber ich gebe auf keinen Fall auf. O taktfest taktfest!
    Lange saß ich mit den Resten der Vergangenheit, die ich ergattert hatte, im Wohnwagen. Im zweiten Jahrzehnt hatte die Entvölkerung der größten und nördlichsten Teile Schwedens eingesetzt, und dieser Prozess war noch lange nicht abgeschlossen. Äcker verwuchsen, Kahlschläge breiteten sich aus, Katen standen leer, Ställe verfielen. Aus Möbeln, Teppichen, Deckbetten und dem ganzen Kram wurde meistens Müll. Doch Gertrud leistete in ihren Trödelschuppen der Tendenz zum Allerwahrscheinlichsten Widerstand, zu jenem Zustand der Unordnung, worin alle Entropie endet: der Welt als Müllhalde.
    Es gab auch keinen Wärmeverlust, wie ich am Abend merkte, nachdem wir mit Elchfarce gefüllte Kohlrouladen mit hellbrauner Sahnesauce, frisch eingekochten Preiselbeeren und großen, erst kurz zuvor aus der Erde geholten King Edward in rosiger Schale gegessen hatten. Danach bekamen wir zarte Rote Grütze mit Milch, und Lasse pries Gertrud für die Gottesgaben. Da meinte Evert, es gebe nur eine Art, sich zu bedanken, und er wisse schon, welche das sei. Lasse lächelte und erwiderte, er wolle sich nicht lange bitten lassen, stand auf, ging hinaus und holte seinen Geigenkasten. Wir hatten in unserem Wagen elektrischen Strom bekommen, weil Lasse um seine kostbare Geige fürchtete, sie durfte keinen starken Temperaturschwankungen ausgesetzt werden.
    Er spielte an diesem Abend in der Stube, weil er es in der Küche mit dem emaillierten eisernen Herd für die Geige zu heiß fand; hier würde sie zu schnell verstimmen. Ich saß auf einem Stuhl mit hoher Lehne und hörte ihm zu, Evert und Gertrud saßen auf dem Plüschsofa. Die erste Melodie war traurig und eigenartig und hatte ein langsames Tempo. Doch anschließend spielte er eine Polska, und da kam in die beiden alten Leutchen auf dem Sofa Bewegung, und als Lasses Spiel noch lebhafter wurde, stand Evert auf und griff sich die kleine Gertrud, und so traten sie mit ein paar einleitenden Schritten, die einem Hambo glichen, auf dem Dielenboden des Zimmers zum Tanz an. Mit sicheren Schritten begannen sie sich im Rhythmus der Polska zu drehen. Gertrud wirkte, als der große, massige Mann sie hielt, mehr denn je wie ein Vögelchen, doch bildeten sie ein erstaunlich harmonisches Tanzpaar.
    Evert war damals zweiundsiebzig und Gertrud ein bisschen jünger. Sie hatten einander vielleicht bei einer Polska auf einem Tanzboden in der Orsa Finnmark gefunden. Wenn sie nicht beim Jazz der Vierzigerjahre den

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