Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
geparkt standen; bei manchen war um die Räder das Gras hochgeschossen. Lasse meinte, wir sollten einstweilen an der Straße stehen bleiben und uns ruhig verhalten, damit wir seinen Onkel und seine Tante nicht aufweckten. Aber sobald ich die Autotür zumachte, begannen auf dem Hof mindestens zwei Hunde lautstark zu bellen, und kurz darauf erschien auf der Vortreppe des größten Hauses ein hochgewachsener Mann. Er war mit Unterhemd und Unterhose bekleidet, jener Art blaugrauer Unterwäsche, die zuvor an den Wäscheleinen in den Finnmarkdörfern angezeigt hatte, dass es auf den Höfen noch Leben gab. Rasch erlosch die Außenleuchte, er wollte offensichtlich nicht gesehen werden.
Er brüllte mit fester, tiefer Stimme: »Was zum Teufel macht ihr hier?«
»Stell die Flinte weg, Evert«, sagte Lasse und stiefelte zur Vortreppe. Es gab ein heftiges Umarmen und kräftiges Rückenklopfen, und Lasse sagte: »Das ist Babba«, als ich dazukam. Die Frau, die herausgetaumelt kam, war nur halb so groß wie Lasses Onkel Evert und wickelte sich erst noch in ihren hellblauen Morgenrock. Sie hieß Gertrud, und als wir in die Küche kamen, stellte sie Sülze und Rote Bete, Butter und einen großen Laib selbst gebackenes Brot auf den Tisch. Dazu tranken wir Milch, und Evert und Lasse genehmigten sich einen Schnaps. Es war fast drei Uhr morgens, als Lasse von seinen Auftritten in diesem Sommer zu Ende erzählt hatte und wir auseinandergingen. Den Besuch in Ruskmyr hatte er allerdings nicht erwähnt.
Ich wachte wie üblich um sechs auf und wollte nicht noch mal einschlafen. Wenn das der ganze Rest von Lasses Familie war, dann sollten sie nicht denken, ich sei eine, die den Vormittag verschlief. Er hatte ihnen erzählt, ich würde Artikel und dergleichen schreiben, und das glaubte er ja auch selbst. Was die Leute von der schriftstellernden Zunft hielten, wusste ich ja. Ich stand jedoch jeden Morgen auf, setzte mich an den Galeerenriemen und ruderte in den Geschichten voran:
O taktfest taktfest!
O mein Ruderblatt, taktfest tauch ich dich ein!
Ekelöf hatte wohl etwas von dieser Arbeit gewusst. Auch wenn er vor allem Gedichte schrieb. Aber vielleicht hat man ja auch damit seine liebe Mühe.
Lasses angeheiratete Tante war die kleinste Frau, die ich je gesehen habe. Sie war dünn und in ihren Bewegungen so schnell, dass man an eine Bachstelze denken musste, wenn sie zwischen den Schuppen dahintrippelte, die ihr Lebensinhalt und -unterhalt waren. Flohmärkte, wie sie heute auf jedem zweiten Hof auf dem Land ausgeschildert sind, gab es damals noch nicht. Gertrud war die Idee gekommen, Sachen in Kommission zu nehmen und zu verkaufen. Anfangs waren es nur Möbel und Ziergegenstände gewesen. Als das Geschäft dann lief, hatte sie es von dem großen Wohnhaus auf eine Scheune und ein Haus ausgedehnt, in dem die Eltern des früheren Hofbesitzers als Altenteiler gelebt hatten. Mit der Zeit hatte sie dann auch einen Großteil des Stalls beansprucht. Dort gab es Dinge wie Rasenmäher und allerlei Gerätschaften, aber auch ein paar Schneescooter und Mopeds, und da kam bei ihren Geschäften auch Evert mit ins Spiel. In dem abgestellten Wohnwagen, zu dem Evert eine Holztreppe gezimmert hatte, verkaufte sie Werkzeug und Elektrogeräte, und offensichtlich zählte für sie dazu auch Weihnachtsbaumbeleuchtung.
Ich ging staunend in den Schuppen umher und betrachtete die Regale, Kisten, Kleiderbügel und Gestelle mit all dem Zeug, das veräußert werden sollte. Da waren Schafspelze, Teppiche, Wandbehänge, Kissen, Robbenfellhandschuhe, Adventsleuchter, Schneeschuhe aus Bambus, Strickjacken im Norwegermuster, Angelruten und Kupfergefäße. Ich sah samtige Wandbehänge mit Pferde-, Hunde- und Rosenmotiven, Weihnachtsmänner aus Holz, Plastik und bemaltem Gips, Osterhähne, Papierserviettenhalter aus Neusilber, Kaffeetassen mit Goldrand und mit Veilchen bemalt sowie vier Teetassen mit Untertas-sen, die doch wahrhaftig Stig Lindbergs Bersåservice entstammten. Vasen gab es zu Hunderten, ebenso Kochtöpfe, Sahnekännchen, Krüge und Milchsatten.
Lasse begleitete mich lächelnd und erzählte, wie der Betrieb gewachsen war. Im Dorf hatte es natürlich hohen Klatschwert, hierherzukommen und zu schauen, was zum Verkauf angeboten wurde. Jeder Gegenstand war mit einem kombinierten Buchstaben- und Zahlencode statt dem Besitzernamen versehen. Doch die Dorfbewohner waren schnell dahintergekommen, welcher Nachbar sich hinter Bezeichnungen wie G17 oder F5
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