Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
Denkmal ungeborener Kinder genannt wurde.
Warum kommt das jetzt hoch? Ist das Rolf in einer Nussschale? Killekillekillekill und ein kleines Liebesspiel. Du lieber Himmel, denkt sie. Ich habe ihn fast vergessen. Und jetzt geht er am Rollator.
Sie erinnert sich, dass er verlegen wirkte, als er seinen Eltern an einem Sonntag nach dem Essen von der geplanten Verlobung erzählte. Was sein Vater wohl gesagt hätte, wenn er denn etwas hätte sagen können? Er saß auf seinem Stuhl und sah sie aus freundlichen Augen an. Er war Ortsvorsteher einer Stadt in Bergslagen gewesen, hatte aber vor drei Jahren eine Gehirnblutung erlitten. Daraufhin waren sie nach Uppsala zurückgezogen und hatten sich in der Wohnung des Generals am Stora Torget niedergelassen. Der General nutzte sie nicht mehr, denn er lebte mit seiner Haushälterin auf dem Familiengut außerhalb der Stadt.
Seine Mutter war nicht begeistert, holte aber trotzdem eine Karaffe Portwein und vier Gläser, damit sie auf die Verlobung anstoßen konnten. Sie am Ulvafall zu begehen, das war natürlich meine Idee, ist sich Lillemor klar. Ich habe vermutlich gesagt, dass wir sie in der Natur erleben wollten, oder etwas in der Art, und anschließend könnte ja alles stattfinden, was sein müsse. Diners. Anzeigen. Besuchstour. Ich war eine Gans. Ob es das Haus am Stora Torget noch gibt? Dort hat jedenfalls Hennes & Mauritz eröffnet. Oder war das schon vorher?
Der Fyrisån hatte einen hübschen kleinen Wasserfall mit irgendwelchen Gebäuden auf beiden Seiten. Rolf muss mit dem schwarzen Ford Eifel seines Vaters hingefahren sein, der während des Kriegs aufgebockt gewesen war. Im Wasserschleier des Katarakts war es kalt, daran erinnert sie sich noch deutlich. Und dass Rolf die Sache humorvoll nahm, ihr den Ring über den schlanken Finger streifte und sie lieb und unerotisch küsste. Er merkte wohl, dass die Stimmung dementsprechend war. Ein Windstoß kam, und auf dem Autodach blieb gelbes Laub kleben. Der Himmel war graubleich und glatt wie Haut. Das Gras braungelb und verwachsen und voller Feuchtigkeit und Pilze. Oder ist das eine spätere Erinnerung? Es war wohl kaum die Natur, die sie sich vorgestellt hatte. Der Wasserfall klang ohnehin wie ein Automotor.
Ich will beten.
Diese Erinnerung ist ihr peinlich. Rolf muss betreten dreingeschaut haben. Er ging zwar bei seinen Besuchen auf Sjöborg mit dem Großvater und seiner Haushälterin immer in den Gottesdienst. Doch das war Teil des gesellschaftlichen Lebens. Komischerweise hat sie ganz deutlich vor Augen, dass er einen großen gelben Badeschwamm in der Hand hatte, während sie im Wind das Vaterunser betete und in die Strudel unter dem Wasserfall blickte. Vielleicht wollte er die Gelegenheit nutzen und das Auto waschen, aber sie kann sich nicht erinnern, dass er einen Eimer dabeigehabt hätte.
Das Personal im Sumlen rumpelt jetzt auffordernd mit den Stühlen, die umgekehrt auf die Tische gestellt werden sollen, damit der Fußboden gewischt werden kann. Die Geschirrwagen werden scheppernd in die Küche geschoben. Lillemor weiß nicht, wohin sie gehen soll. Sie kann sich natürlich auf die Galerie über dem Forschersaal setzen, denn bis die gesamte Bibliothek geschlossen wird, dauert es noch ein paar Stunden.
Da taucht eine Frau auf. Hat sie die ganze Zeit hinter ihrem Rücken gesessen? Sie beugt sich vor und legt Lillemor die Hand auf den Arm. Das tun die Leute oft. Das tun sie im ICA oder in der Markthalle in Östermalm oder in Hedengrens Buchhandlung oder sogar auf der Straße. Selbst völlig Fremde legen ihr die Hand auf den Arm. Sie wollen sich vergewissern, dass ich wirklich bin, denkt sie. Aber das bin ich nicht.
Sie sind freundlich und fangen fast immer mit derselben Phrase an: »Ich muss Ihnen sagen …« Diese Frau bildet keine Ausnahme. Sie hat ganz glattes, grau meliertes braunes Haar, das unterhalb der Ohren und an der Stirn absolut gerade geschnitten ist. Ihre Strickjacke ist von der Art, die Lillemor im Stillen als Intellektuellenklamotte zu bezeichnen pflegt: aus Baumwolle, in zwei Graunuancen quer gestreift, schenkellang. Die Brille hängt ihr an einer Schnur auf der Brust.
»Ich muss Ihnen sagen, wie viel mir Ihre Bücher bedeuten. Danke!«
Lillemor weiß genau, was sie antworten muss. Sie tut es immer mit einer gewissen Zurückhaltung. Das steht ihr, ist aber auch ein Anspruch. Die Leute erwarten nämlich, dass sie nett, bescheiden, fröhlich, tiefsinnig und erfreut ist. Babba wäre das alles wahrlich
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