Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
hat mich stets auf diese Art aus diesen stillen, hohen Räumen und ihrem Leben dort herauszuhalten versucht.
Wir mussten eine Ewigkeit warten, bis wir endlich in den Börsensaal eingelassen wurden, weil Lillemor so zeitig hatte da sein wollen, dass sie sich in dem großen Toilettenraum noch schminken konnte. Die dazu nötigen Utensilien hatte sie alle in einem kleinen Bag. Das Haar hatte sie sich bei einer Friseuse aufstecken lassen. Da ihr bescheidener Pagenkopf nicht für einen Knoten reichte, war mit einem Haarteil nachgeholfen worden. Astrid war mit der Frisur nicht zufrieden, wohl aber mit dem Kleid. Es war der Traum aller kleinen Mädchen vom Prinzessinnenkleid, ein tiefblaues Samtkleid mit Empiretaille und recht großzügigem Ausschnitt, aber langen Ärmeln. Sie trug natürlich Silberschuhe dazu und hatte ein Abendtäschchen aus demselben Stoff wie das Kleid. Ihre Antrittsrede hatte sie dem Hausdiener gegeben, damit er sie auf ihren Platz am Tisch legte.
Der Saal füllte sich langsam mit leisem Raunen und Parfümduft. Ich lauschte auf das Gemurmel, das so anders war als im Kino oder im Volkshaus. Es wurde diskret gehüstelt. Ich erkannte nur wenige Leute: Lillemors Verleger, der Geld für einen Preis gestiftet hatte, und den jovialen Kulturminister mit Haaren wie ein Kaffeehausgeiger vor sechzig Jahren. Die laut Lillemor eingeladene höhere Verwaltungsebene war mager und grau, und die dazugehörigen Damen trugen altmodische Abendkleider und Halsketten mit Perlen im Verlauf, Granatbroschen und Stoffblumen, die schon einige Auftritte erlebt hatten. Wir saßen ihnen so nahe, dass mir der Geruch ihrer Kleider, die lange weggehängt gewesen waren, in die Nase stieg.
Mir ging durch den Kopf, dass es im öffentlichen Leben Schwedens Nischen gab, die so unbekannt waren wie die Tiefseebecken im Atlantik. Wer darin lebte, war es nicht gewohnt, bespäht zu werden. Mit einem solchen Presseaufgebot und der bisher nie da gewesenen Fernsehaufzeichnung des Ereignisses hatten sie nicht gerechnet. Sonst wären sie vielleicht eine neue Stoffrose kaufen gegangen.
Diese Menschen verfügten wohl auch über eine extrasensorische Witterung für königliche Hoheiten, denn unmittelbar bevor die Türen zur Nobelbibliothek aufgeschlagen wurden, veränderte sich die Atmosphäre, das Gemurmel erstarb, und Stille senkte sich herab. Dann scharrte und raschelte es leise, als sich alle erhoben, und ein traten der König, erstaunlich sparsam dekoriert, und die Königin in etwas sehr Schlichtem und Langem und mit einem der intellektuell betonten Feierlichkeit des Abends angepassten Lächeln. Astrid war so ergriffen, dass sie meine Hand drückte. Und wenn Astrid Troj drückt, dann spürt man das.
Viele Menschen hegen den atavistischen Wunsch, sich vorbehaltloser Ehrfurcht hinzugeben. Ist er tatsächlich atavistisch? Wie dem auch sei, kann man doch vom Volk gewählten Politikern keine Ehrfurcht entgegenbringen, und es ist auch nicht das, was das verzückte Publikum eines Rockkonzerts mit Feuerzeugflammen demonstriert. Politiker und Sänger sind schließlich Leute, die man beurteilt. Könige und Königinnen sind in dem Augenblick, in dem sie in einen Saal eintreten (und sie treten meistens in Säle ein), über alles erhaben, was Beurteilung und Bewertung gleichkommt. Man kann fast alles über ihre intellektuelle Kapazität oder ihre sexuellen Vorlieben wissen und in der Zeitung darüber schreiben. Doch wenn die Überdekorierten und Prachtvollen in Gemächer eintreten, wo man sich nur im buchstäblichen Sinne nach der Decke strecken muss, fällt das alles ab.
Ist das Opfertier erst an den Altar getreten, wird es geschlachtet, und der erhabene Augenblick ist vorbei. Dann kann man sich an seinem Fleisch gütlich tun. Hier im Börsensaal war es noch nicht ganz an der Zeit, sich der Diskussion darüber hinzugeben, wie das Make-up der Königin ausgefallen war und ob der König wirklich geschlafen oder sich nur mit geschlossenen Augen seinem reichen Innenleben gewidmet hatte. Doch wurde alles für die am Abend anstehenden Expertisen registriert.
Bemerkenswerterweise zog die Akademie erst nach dem Königspaar mit seinem Gefolge aus zwei Kammerherren, einer Hofdame und einem Adjutanten ein. Sie gingen zwei und zwei, wie die Tiere auf dem Weg zur Arche Noah. In keinem anderen Zusammenhang dürfen die Leute auch nur versuchen, erst nach den königlichen Hoheiten in den Saal zu huschen. Hier marschierten sie in einer Prozession aus Fräcken und
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