Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
mehr zu wissen als der Rest der Welt.
Vielleicht war das etwas, das Hexen, Hexenmeister und selbst christliche Magier gemein hatten. Sie liebten das Arkane, weil es eben arkan war – geheim.
Bruder Marcus half dem Magier in die Kutsche.
„Ich sollte unbedingt diese Bücher lesen“, seufzte er. „Ich weiß, es ist wichtig zu wissen, was darin steht, noch bevor wir die nächste Phase der Ereignisse erreichen.“
„Wir können hierbleiben und lesen“, schlug Pater Bonifatius vor, und seine Stimme war so dünn wie ein Schlachtermesser. „Sie selbst wollten doch unbedingt abfahren.“
„Wir müssen losfahren. Die Stränge fügen sich zusammen. Dessen bin ich mir sicher.“
„Ganz ohne jeden Zweifel?“
„Ohne großen Zweifel.“
„Und wie klein ist der Zweifel?“
„Allwissend bin ich nicht, Hochwürden.“ Der Magier klang ein wenig missmutig. „Ich kann so wenig in die Zukunft sehen, wie ich durch Erbsensuppe den Grund des Tellers sehe.“
„Erbsensuppe?“ Pater Bonifatius’ Stimme war so süß geworden, dass sein Ärger fast greifbar wurde.
„Nur so als Vergleich.“
„Mich interessieren Ihre Vergleiche nicht, auch nicht Ihre Metaphern oder Similes. Ich interessiere mich ausschließlich dafür, was wir tun und wo und wann wir es tun werden – und natürlich wie. Das Warum ist am einfachsten zu beantworten, denn die Antwort lautet gleichbleibend: für einen guten Zweck und zu Ruhm und Ehre Gottes. Ich sage Ihnen das nur, falls es Ihnen entfallen sein sollte. Ich gebe Ihnen das Warum. Und Sie sind zuständig für das Wann, Wo, Wie und Was.“
Die zwei Männer starrten sich an, und Marcus versuchte, nicht hinzusehen, da er ihre Aufmerksamkeit und ihren Zorn nicht auf sich ziehen wollte.
Wenn sie erst einmal die Dämonen, Hexen und Hexenmeister gefunden hatten, würde alles besser werden. Die gesamte Aggression würde sich wieder auf das Böse verlagern. Je früher, desto besser.
Der Priester und der Magier hatten, seit Marcus sie kannte, nicht oft miteinander gestritten, doch in letzter Zeit war es zu Spannungen gekommen. Vielleicht mochte Anselm die Vorherrschaft des rundlichen Priesters nicht mehr fraglos anerkennen. Bei all seinem Wissen und all seiner Macht war es vermutlich schwierig, sich unterzuordnen.
Das Rangsystem der Bruderschaft war jedoch klar definiert. In einer Einsatzgruppe hatte immer der Priester das Sagen. Es gab keine Diskussion darüber, wer der Kopf und wer die Hand war.
„Nun, worauf warten wir noch?“
Zeit loszufahren. Zwei Wege führten aus dem Hof. Keiner davon ging in Richtung Südost. Marcus spürte es kommen. Sie warteten darauf, dass er fragte, wohin es gehen sollte, um ihn dann tadeln zu können, dass er nicht genau hingehört hatte.
Also fragte er nicht. Er knallte mit der Peitsche, und der Wagen fuhr an. Die Räder flüsterten, als sie durch den herbstnassen Boden pflügten.
„Wohin um Himmels willen fahren Sie?“, fragte Anselm streitsüchtig.
Marcus lächelte. Auf die Kritik hatte er bereits gewartet. Tatsächlich hätte ihm etwas gefehlt, wenn sie nicht gekommen wäre. Sie war wie eine Liturgie, jede Aktion, jeder Satz hatte eine festgeschriebene Antwort. Per omnia saecula saeculorum. Amen.
„Wohin sollte er denn fahren?”, fragte Pater Bonifatius allzu freundlich. Es hatte etwas Neues, wenn Priester und Magier sich einmal nicht einig gegen Marcus waren.
„Nach links.“
Marcus wechselte stumm die Richtung.
„Machen Sie es sich nicht zu bequem, Bruder Anselm. Warum lesen Sie nicht unterwegs die Bücher?“
„Während der Fahrt?“ Der Magier klang erbost. In einem wackeligen Gefährt zu lesen würde vermutlich dafür sorgen, dass ihm ordentlich schlecht wurde. Herbststraßen waren weich und voller Löcher. Genau deshalb reiste man in dieser Jahreszeit nicht, wenn es sich vermeiden ließ.
„Wann sonst?“, fragte Pater Bonifatius. „Hatten Sie nicht eben noch gesagt, es sei wichtig, mehr über all dies zu erfahren?“
Die Stille daraufhin war so dick, dass man sie hätte schneiden mögen.
Nach einer Weile sagte der Magier: „Der Sprühregen könnte die Bücher beschädigen.“
„Nun, dann tun Sie etwas dagegen. Jetzt. Oder ist eine so einfache Aufgabe jenseits Ihrer Macht?“
Wieder blieb es still hinter Marcus’ Rücken, und er vermied es, sich umzuwenden. Doch ein Schauer lief ihm über den Rücken, und obgleich er selbst überhaupt kein arkanes Talent hatte, wusste er, dass Bruder Anselm „etwas dagegen tat“.Er zog an
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