Schwingen der Lust
Wahrheit
„Erzähl ihr von der Prophezeiung.“
Sybaris saß im Schneidersitz an der Feuerstelle und stopfte sich eine schmale, geschwungene Tonpfeife mit Tabak aus einem kleinen ledernen Beutel, der von ihrem grauen Fellgürtel hing. Sie nahm einen Span aus den Flammen und zündete sie paffend an. Beinahe sofort breitete sich ein süßlich würziger Duft in der Höhle aus, und Maggie, die gerade an der Quelle hockte und die Gulaschschüsseln und Löffel abwusch, war sich schnell ziemlich sicher, das in dem Tabak Dinge waren, die in den meisten Ländern der Erde unter das Betäubungsmittelgesetz fielen.
„Ja, erzähl mir davon“, bat sie Axel. Jetzt, da endlich alle Zweifel an seinen und vor allem ihren eigenen Gefühlen beseitigt waren, hatte sie wieder den Kopf frei, über die Bedrohung durch Tazz nachzudenken. Dazu musste sie die Hintergründe kennen und verstehen lernen, was hier vor sich ging und welche Rolle sie darin spielte.
Warum war sie für den blonden Engel so wichtig, und was war in dem Sarkophag, dass Tazz sie sogar gefoltert hatte, um sie dazu zu zwingen, ihn zu öffnen?
Axel stand draußen vor dem Rahmen der Hüttentür und schnitzte mit einem kleinen, sichelförmigen Messer Symbole in das alte Holz, die so aussahen wie die, die Maggie bereits in seinem Haus in New York gesehen hatte.
„Es geht um die Johannes-Offenbarung“, begann er.
„Um die Apokalypse?“, fragte sie.
„Ja“, antwortete er. „Um die darin verkündete Vernichtung der ganzen oder zumindest fast der ganzen Menschheit, damit danach auf der gesäuberten Erde ein neues Paradies entstehen kann.“ Er verzog das Gesicht. „Die zentrale Rolle darin spielt der Abaddon - der Zerstörer. Der Engel des Todes.“
„Es gibt wirklich einen Engel des Todes?“, flüsterte Maggie erschüttert.
Axel nickte. „Der Prophezeiung des Johannes nach muss er für die Apokalypse aus seinem Kerker befreit werden. Denn nur er hat die Macht, die Menschheit zu vernichten. Und wiederum nur du hast die Macht, ihn aus seinem Gefängnis zu befreien und ihn und seine tödliche Macht auf die Menschheit loszulassen.“
„Wieso ich?“, wollte Maggie natürlich augenblicklich wissen. „Was habe ich denn mit diesem ... wie hast du ihn genannt?“
„Abaddon.“
„Was hab ich denn mit diesem Abaddon zu tun?“
„Das ist eine längere Geschichte“, sagte Axel. „Und sie beginnt damit, dass Engel keine Menschen töten können.“
„Ich weiß“, sagte Maggie. „Tazz hat es mir gesagt.“
„Schon der Versuch führt zu unserer spontanen Vernichtung“, erklärte Axel. „Wir sind von unseren Schöpfern, den Elohim, so programmiert , wenn man das so sagen will. Als daher der, den ihr Gott nennt, sich dazu entschloss, die Menschheit und die Nephilim in der Sintflut zu vernichten, weil er jegliche Kontrolle verloren hatte, konnte er sich nicht der Engel bedienen. Also schuf er ein neues Wesen. Eine Abnormität. Den Abaddon Azra’El.“
„Wie?“
„Er stieg zur Erde herab, nahm menschliche Gestalt an und verführte die Prinzessin von Caphtor, das ihr in euren heutigen Legenden Atlantis nennt. Der Name der Prinzessin war Neferkara; sie war deine Urahnin. Mit ihr zeugte er Azra’El.“
Maggie überlegte kurz. „Also ist Azra’El selbst auch einer der Nephilim.“
„Nein“, schaltete sich Sybaris ein und blies eine Serie von Rauchkringeln in die Luft, ehe sie weitersprach. „Nephilim sind die Kinder von Engeln und Menschen. Als Sohn eines der Elohim und einer Menschenfrau ist Azra’El ein Halbgott.“
„Wie Herkules oder Perseus?“, fragte Maggie, die sich an Geschichten aus der griechischen Mythologie erinnert fühlte.
„Vom Prinzip her, ja“, stimmte Sybaris zu. „Aber sehr, sehr viel mächtiger. Doch lass Axel weitererzählen.“
Maggie schaute Axel an und wartete.
„Als Neferkaras Vater Unas, der König von Caphtor, erkannte, dass seine unverheiratete Tochter schwanger war“, fuhr Axel fort, „wurde er von großem Zorn erfasst und verstieß sie. Er verbannte sie nach Theben am Nil. Dort fand sie Zuflucht bei Pharao Teti, einem der zahlreichen Unterkönige des Unas, der es schon lange heimlich auf die Krone seines Herrschers abgesehen hatte.
Teti erkannte eine einzigartige Möglichkeit. Er machte Neferkara zu seiner Frau und fasste den Plan, Kinder mit ihr zu zeugen, danach Unas heimlich meucheln zu lassen, um dann den Thron Caphtors für sich und seine Erben zu beanspruchen.
Als daher Azra’El geboren wurde,
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