Schwingen der Lust
blitzschnell durchführen konnte. Sie brauchte dazu nicht mehr als die wenige Zeit, die zwischen zwei Herzschlägen vergeht.
Ihre Ohren wuchsen und wurden nach oben hin spitz, und aus ihren schlanken Fingern wurden lange, kräftige und vor allem rasiermesserscharfe Klauen. Zwischen ihren Schulterblättern sprossen zwei gewaltige, schwarze Fledermausflügel. Ihre Haut und ihr Haar verfärbten sich zu einem bläulich schimmernden Schwarz, und ihre Augen wurden blutrot und geschlitzt.
Ihre Eckzähne wuchsen zu riesigen, nadelspitzen Fängen.
All das geschah gleichzeitig.
Sie schnellte mit dem Oberkörper nach unten und jagte ihre Reißzähne in seinen Hals.
Zu ihrer großen Überraschung lachte er.
„Du hast dir Zeit gelassen, Tochter der Nyx“, sagte er, packte sie im Nacken wie ein Kätzchen und zog ihren Kopf ohne jede Kraftanstrengung nach hinten. Seine Wunden schlossen sich sofort wieder.
Sie fauchte wild und versuchte sich freizukämpfen, doch er hielt sie fest.
„Du hast wirklich geglaubt, ich nehme dir deine kleine Scharade ab?“, fragte er amüsiert. „Nein, ich weiß, dass du mich belügst, seit wir aus dem Aufzug gestiegen sind. Aber dass es dir gelingt, mich tatsächlich einzulullen, damit hätte ich nicht gerechnet. Hat dir gefallen, was du gesehen hast?“
„Woher wusstest du, dass ich lüge?“, fauchte sie.
Er zuckte mit den breiten Schultern. „Die Abgal war nie hier unten. Ich hätte sie gewittert. Aber du hast wirklich ausgezeichnet gespielt. Mein Kompliment. Du bist ein wahres Naturtalent. So viel Hingabe. So viel Mühe. Ich bin froh, dass ich mir das nicht habe entgehen lassen. Du warst wunderbar. Um nicht zu sagen sensationell.“
Mit einem festen Schlag seiner Flügel richtete er sich mühelos auf und schleuderte Virginia von sich. Sie krachte hart gegen eine Wand und fiel angeschlagen zu Boden.
„Zum Dank für dieses wundervolle Spiel lasse ich dich sogar leben“, sagte er und setzte sich unbeschwert in Richtung des Lifts in Bewegung.
Mit einem wilden Schrei stürzte Virginia sich auf ihn. Sie sprang ihm auf den Rücken, schlang Arme und Beine um ihn und grub ihre langen Fangzähne jetzt von hinten in seinen Nacken.
Diesmal war sie schneller als zuvor und beeilte sich von dem Engelsblut zu trinken.
Sofort spürte sie die Kraft, die daraus in sie strömte.
Virginia hatte noch nie das Blut eines lebendigen Wesens getrunken. Trotz ihrer Natur. Daher der Name - Virginia für Jungfrau. Deshalb hatte sie vorhin auch behaupten können, noch nie gesündigt zu haben. Aber jetzt sündigte sie; jetzt wurde sie zu dem, was sie seit ihrer Geburt war und nie ausgelebt hatte.
Sie war eine Keres - die Tochter eines Engels und der Elohim Nyx ... Halbgöttin des Todes ... der Ursprung aller Legenden über Sirenen, Harpyien, Vampire und Walküren ... und nach mehr als viertausend Jahren selbstauferlegter Askese hatte sie jetzt zum ersten Mal lebendiges Blut getrunken ... und nicht nur irgendwelches, sondern das Blut eines Engels.
Ba’Al‘T’Azar spürte die Veränderung, die in ihr vorging, sofort und wollte sie abschütteln. Doch anders als gerade eben noch gelang es ihm zu seiner großen Überraschung nicht. Mit immer größer werdender Kraft klammerte sie sich an ihn. Sie schlug mit den Flügeln und zog ihn vom Aufzug weg in den Keller zurück.
Er schrie laut und schmerzerfüllt auf und versuchte, sich irgendwo festzuhalten. Vergeblich.
Von Sekunde zu Sekunde immer kräftiger wurde der Schlag ihrer schwarzen Flügel, bis es Ba’Al’T’Azar schließlich gar von den Füßen riss. Er merkte, dass sie versuchte, ihn in die hintere Halle zu schleppen - und natürlich wusste er, dass es eine Gefängniszelle war, die auch ihn halten würde. Das durfte er auf gar keinen Fall zulassen.
Hastig griff er nach seinen Schwertern, die augenblicklich sichtbar wurden, zog sie hervor und stach damit über die eigenen Schultern hinweg nach hinten.
Virginia kreischte auf und wich den Klingen gerade noch aus. Dabei musste sie jedoch Krallen und Zähne von seinem Leib nehmen, und Ba’Al’T’Azar kam frei.
Er wirbelte blitzartig herum und schlug mit ungebremster Brutalität nach ihr. Doch sie war geschickt genug, sprang schnell zur Seite und weit nach hinten weg.
„Hast du mir nicht zugehört?“, schrie er sie von Zorn erfüllt an. Seine Wunden heilten jetzt schon um einiges langsamer. „Ich lasse dich am Leben.“
„Ich dich aber nicht“, schrie sie zurück. „Ich lasse nicht zu, dass
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