Schwingen des Vergessens
sie noch einen kurzen Blick auf den Laptop, ein kleines Lämpchen rechts unten signalisierte ihr, dass die Nachricht bereits eingegangen war. Trotzdem ignorierte sie es und rannte schnell ins Badezimmer. Das Fenster war geöffnet und ein leiser Windhauch wehte herein. In solchen Momenten wünschte sie sich, dass sie selbst Fenster in ihrem Zimmer hätte, doch die Dunkelheit war ihr dann doch willkommener und meist passte es vor allem besser zu ihrer Stimmung. Nur ab und zu etwas frische Luft wäre mehr als nur nötig. Hinter dem Schrank mit den Nischen gab es Fenster, klar, denn jedes Haus hatte Fenster, egal, ob man es selbst baute oder nicht. Der Nischenschrank davor, verdunkelte aber viel mehr als das beste Rollo. Auf jeden Fall konnte kein geliebtes Lüftchen herein wehen, außer es durchquerte vorerst das ganze restliche Haus. Seufzend wusch Amelie ihr Gesicht ab, gestern hatte sie sich glücklicherweise weniger geschminkt als sonst, und die Hälfte war beim Weinen bereits verschmiert worden. So war ihr Gesicht nur grau, als wäre es schlecht durchblutet, nicht schwarz wie sonst immer. Danach kämmte sie sich die Haare, band sie aber wieder zusammen, denn beim Weinen würden sie nur stören und notfalls könnte das Mädchen den Zopf schließlich wieder lösen. Mit den hüftlangen Haaren war es ein leichtes, selbst Frisuren zu machen, die mit einem Kurzhaarschnitt beinahe unmöglich zu schaffen wären, was natürlich völlig logisch war. Die Tatsache, dass Amelie heute Schule hatte, kam ihr erst jetzt. Eilig warf sie einen Blick auf die Uhr, nach der Helligkeit draußen zu deuten, war es mindesten 10 oder 11. Tatsächlich! Die Zeiger standen bereits bei 10:45, mittlerweile war es zu spät, noch in die Schule zu gehen, bis sie mit dem passenden Bus dann im Klassenzimmer wäre, wäre die vierte Stunde auch schon um. Entweder Caro hatte das beabsichtigt oder sie hatte selbst die Zeit übersehen, was trotz dieser Situation sehr seltsam wäre. So entschloss das Mädchen sich, daheim zu bleiben und überhaupt gleich im Pyjama durch die Gegend zu rennen. Amelie hatte weder vor, jemanden zu sich nach Hause zu holen, noch, irgendwo hinzugehen. Als sie das Bad verließ, blickte sie sich unschlüssig um.
„Besser in mein Zimmer und nur die nervigen Nachrichten von Damian lesen oder runter zu meiner Mutter gehen und mein Leben wieder in Reih und Glied bringen?“, fragte sie sich und merkte erst ein paar Sekunden später, dass sie das gerade laut ausgesprochen hatte.
„Ich wäre dafür, dass du zu mir kommst, aber das musst du ja selbst entscheiden. Und, wer zum Teufel ist Damian?“, rief von unten eine Stimme herauf, doch es war nicht die ihrer früheren Mutter. Es war die ihres unechten Vaters. Überrascht sprang sie die Treppen hinunter, erwartete allerdings nicht allzu viel. Es hatte schon viele Momente gegeben, wo sie glücklich darüber war, dass er sich anscheinend endlich mal um sie kümmern wollte. Und jedes Mal wurde sie enttäuscht. Unten angekommen hielt sie inne und sah ihn an, wie er mit Kabeln bepackt im Eingang stand.
„Seit wann bist du da?“, fragte Amelie, es war selten, dass ihr Vater gut gelaunt von der Arbeit nach Hause kam, meist war er ausgelaugt und mehr als nur ein bisschen gereizt.
„Seit jetzt, ich komme herein und merke, dass meine Tochter Selbstgespräche führt, bist du etwa schon so einsam?“ Zwei Sachen stimmten, eine nicht.
„Ich bin einsam und führe überaus gerne Selbstgespräche, aber ich bin nicht deine Tochter! Du bist doch nur da, weil du jetzt ein guter Vater für mich sein musst, der du nie warst, stimmt’s?“ Er riss erschrocken den Mund auf und wirbelte herum. Karoline stand mit verschränkten Armen im Türrahmen, keiner von beiden hatte sie vorhin bemerkt.
„Warum hast du mir nichts gesagt?“ Auch Amelie konnte genau sehen, dass die Wut in Steve heißer wie Lava brodelte. Gleich würde er wie ein Vulkan explodieren und alle rund um ihn herum töten.
„Du warst nicht da, als ich dich gebraucht habe, du warst nie da. Warum sollte ich dich jetzt brauchen? Du wärst wahrscheinlich eh nur in dein Auto gesprungen und wärst herum gefahren. Ist dir was aufgefallen? Das machst du immer, wenn du irgendwelche Probleme siehst, du haust ab und überlässt mir alles. Deswegen habe ich das jetzt auch selbst geregelt“, fuhr sie ihn an und hielt mit Mühe die Tränen zurück, zumindest Amelie erkannte das, Steve wohl weniger.
„Du hast es nicht geregelt, ich weiß immer
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