Schwur der Sünderin
Männern zu. Ohne lang zu überlegen, befahl er ihnen: »Wir lösen das Lager auf!«
»Was soll das heißen?«, schrien die Männer im Chor.
Joß sah sie mit starrem Blick an und erklärte: »Das Heer des schwäbischen Bundes von Weil im Schönbuch bewegt sich auf Heilbronn zu. Es ist mehrere tausend Mann stark und wird schon morgen eintreffen.«
»Warum kämpfen wir nicht? Das kann nicht das Ende des Bundschuh-Aufstandes sein. Er hat nicht einmal begonnen!«, rief ein Bursche enttäuscht.
»Wenn wir bleiben, bedeutet das den Tod eines jeden Einzelnen«, erklärte Kilian, ließ die Männer stehen und ging zu seinem Pferd.
Kapitel 25
Erste Woche im Januar 1526
Anna Maria glaubte sich in einem Traum, den sie schon einmal geträumt hatte. Aber es war kein Traum, sondern Wirklichkeit.
Wie vor etlichen Monaten, als sie sich aufgemacht hatte, um
ihre Brüder bei den Bauernaufständen zu finden, nahm sie auch heute von ihrer Familie Abschied – dieses Mal, um den Vater zu suchen. Obwohl es mitten in der Nacht war, hatten sich ihre beiden älteren Brüder, deren Frauen, die Magd Lena sowie Gabriel und Hauser auf dem Hof versammelt, um Anna Maria auf Wiedersehen zu sagen.
Jeder umarmte die junge Frau, drückte sie an sich und wünschte ihr viel Glück. Nur Lena brachte keinen Ton heraus und reichte ihr wortlos einen Beutel mit Verpflegung. Als die Magd aufschluchzte, legte Hauser tröstend seinen Arm um ihre Schulter, und sogleich vergrub sie weinend ihr Gesicht an seiner Brust. Anna Maria musste bei dieser Geste lächeln und umarmte beide.
»Wäre es nicht ratsam, mit einem Fuhrwerk zu reisen oder wenigstens auf einem Pferd zu reiten?«, fragte Jakob besorgt.
Anna Maria schüttelte den Kopf. »Du weißt, dass ich im Gegensatz zu dir Angst vor Pferden habe, und ein Fuhrwerk kommt bei Schnee und Glatteis nicht schneller voran. So kann ich jedoch querfeldein gehen und manche Strecke abkürzen.«
»Pass auf dich auf«, flüsterte Peter und presste sie fest an sich.
Anna Maria nickte und umarmte zuerst Sarah und dann Annabelle, die ihr zuflüsterte: »Beeil dich, damit du rechtzeitig zurück bist, um Patentante zu werden.«
Freudig überrascht schaute Anna Maria Peter an, der zwar verlegen wegblickte, aber entspannt zu sein schien.
Gabriel und Hauser traten auf Anna Maria zu und fragten: »Hast du dir die Namen der Städte gemerkt, die du durchreisen musst, um nach Lehen zu gelangen?«
Anna Maria nickte und wiederholte: »Kaiserslautern, Landau, Pforzheim, Baden in Baden, Offenburg und Freiburg.«
Zufrieden lächelten die beiden Männer.
»Wie heißt die Losung der Bundschuh-Leute?«, wollte Gabriel wissen.
»Gott grüße dich, Gesell, was hast du für ein Wesen?«
»Die Antwort?«, fragte Hauser streng.
»Der arm’ Mann in der Welt mag nit mehr genesen!«
»Braves Mädchen!«, lobte er Anna Maria und legte ihr seine Hände auf die Schultern, sodass sie ihm in die Augen blicken musste.
»Anna Maria«, sagte Hauser eindringlich. »Das Reich ist nicht nur wegen der blutigen Niederlage in Frankenhausen in Aufruhr. Überall im Land wehren sich die Bauern. Die Suche nach deinem Vater wird, ebenso wie damals die Suche nach deinen Brüdern, beschwerlich werden. Sei auf der Hut! Allerdings hoffe ich auf unsere Anhänger, die dich beschützen werden, sobald sie wissen, wer du bist.«
Anna Marias Blick verriet ihm, dass sie ihn nicht verstanden hatte.
»Du bist die Tochter des großen Joß Fritz!«, erklärte er und drückte ihr einen väterlichen Kuss auf die Stirn.
Dann trat Gabriel zu ihr und sagte: »Sollten wir uns irren, und dein Vater ist nicht bei Else Schmid, wird sie dir sicherlich weiterhelfen können. Und nun geh mit Gott.«
Wie vor vielen Monaten drehte sich Anna Maria am Tor um und blickte zurück auf den Hof zu den Menschen, die ihr zum Abschied winkten. Ein letztes Mal hob die junge Frau den Pilgerstab ihres Vaters hoch, zog den dicht gewobenen Pilgerumhang fest um sich und marschierte in die Dunkelheit.
Da Anna Maria den Ort Katzweiler durchqueren musste, war sie mitten in der Nacht aufgebrochen, in der Hoffnung, dass die Einwohner schliefen und man sie nicht bemerken würde.
Umsichtig stahl sie sich an den Hauswänden entlang, sodass die Dunkelheit sie verschluckte. Als ein streunender Hund sie unerwartet ankläffte, glaubte sie im ersten Augenblick, dass ihr Herz stehenbleiben würde. Mutig drohte sie ihm mit dem Pilgerstab,
woraufhin der Hund winselnd seinen Schwanz einzog und
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