Schwur der Sünderin
und erneut gegen die Missstände in unserem Reich rebellieren.«
»Du scheinst damit vertraut zu sein.«
»Wie alle Bauern haben auch wir Weinbauern mit dem Adel und dem Klerus zu kämpfen. Das Leben ist hart, und wir bekommen nichts geschenkt. Immer wieder keimt die Hoffnung auf, dass sich etwas ändern wird, und immer wieder wird diese Hoffnung sofort wieder erstickt. Ich selbst kämpfe nicht und stelle mich auch nicht auf die Seite der rebellierenden Bauern.« Jörg schwieg einen Augenblick, dann sagte er: »Ich kannte zu viele, die dabei ihr Leben ließen. Tausende Männer sind bei diesen ungleichen Schlachten gestorben. Ihre Familien leiden nun große Not, und niemand hilft ihnen. Ich möchte nicht, dass es meiner Familie ebenso ergeht. Deshalb füge ich mich meinem Schicksal und meinem Grundherrn.«
Anna Maria war über seine Ehrlichkeit erstaunt und wusste nicht, was sie sagen sollte. Schweigend saßen sie nebeneinander und fuhren, bis sie kurz vor Sonnenuntergang einen alten Gasthof erreichten.
»Hier können wir übernachten«, sagte Jörg und blickte Anna Maria fragend an. Sie ahnte, was er wissen wollte.
»Ich habe etwas Geld bei mir, sodass ich die Unterkunft bezahlen kann.«
Anna Maria konnte erkennen, wie Jörg sich entspannte. »Geh hinein, ich werde derweil das Pferd versorgen. Du musst dem Wirt nur sagen, dass du mich begleitest.«
Am nächsten Morgen fuhren sie weiter, kaum dass es hell war. In der Nacht hatte es geschneit, sodass die Wege schlecht zu erkennen waren, denn alle Hinweise schienen unter der weißen Schneedecke verschwunden zu sein. Zeitweise traute Jörg dem Spürsinn des Pferdes nicht. »Nicht, dass wir in einen Graben
rutschen«, sagte er zu Anna Maria und stieg vom Kutschbock, um das Tier zu führen. Dadurch kamen sie nur langsam voran, und als es erneut schneite, schimpfte Jörg laut: »Wenn wir weiterhin so kriechen, kommen wir erst mitten in der Nacht in Weingarten an. Ich kann aber auch nicht riskieren, dass sich der Gaul ein Bein bricht. Vermaledeit!«
Anna Maria vermied es, die Bauernaufstände erneut zu erwähnen, und erzählte deshalb Geschichten von ihren Brüdern. Da sie beobachten konnte, wie umsichtig Jörg mit seinem Pferd umging, schilderte sie, welche besondere Fähigkeit ihr älterer Bruder Jakob mit Pferden hatte. Gespannt hörte der Weinbauer zu.
»Du kannst Geschichten lebhaft erzählen«, lobte er Anna Maria.
Verlegen senkte sie den Kopf. »Als ich klein war, habe ich meiner Mutter gelauscht, wenn sie abends in der Küche uns Kindern Geschichten erzählte.«
»Aha!«, sagte Jörg lachend. »Dann hat deine Mutter ihre Fähigkeit an dich weitergegeben.«
Es war späte Nacht, als sie das Haus des Weinbauern erreichten. Müde und steifgefroren stiegen er und Anna Maria vom Kutschbock. Kaum hatten sie die Tür geöffnet, erklang Kinderlachen im Haus, und eine piepsige Stimme rief: »Der Vater ist daheim!« Schon tippelten kleine Füße die Stiege herunter.
Jörg stellte sich an die untere Stufe, bereit, das Kind aufzufangen, das sich auf ihn fallen ließ.
»Schläfst du noch nicht, Michel?«, fragte der Vater und küsste seinen Sohn. Da rief eine weitere Kinderstimme: »Ich will auch!« Ein zweiter Knabe kam die Treppe heruntergetapst.
Jörg setzte Michel zu Boden und fing dessen Zwillingsbruder lachend auf. »Da kann wohl noch jemand nicht schlafen«, sagte Jörg und hob das Kind in die Luft, dass es vor Freude juchzte.
Langsam kam eine hochschwangere Frau die Treppe herunter und begrüßte ihren Mann liebevoll.
»Brid«, sagte er, »das ist Anna Maria. Sie hat mir unterwegs Gesellschaft geleistet und wird heute Nacht unser Gast sein.« Misstrauisch betrachtete die Frau Anna Maria und hielt sich dabei den Bauch.
Anna Maria wickelte sich den Schal und das Tuch vom Kopf und lächelte die Frau freundlich an. »Ich danke euch, dass ich hier bleiben darf. Morgen schon werde ich weiter nach Pforzheim gehen.«
Die Frau schien nach dieser Auskunft erleichtert zu sein und wandte sich den Zwillingen zu, die mit ihrem Vater tobten.
»Michel, Georg«, rief sie den Kindern zu. »Es ist spät. Geht in euer Bett!«
Jörg zwinkerte seiner Frau zu und scheuchte die Zwillinge die Treppe hinauf. Oben hörte man die drei laut lachen.
Anna Maria glaubte, zu der Frau etwas sagen zu müssen, und erzählte: »Meine Schwägerin wird in den nächsten Wochen ebenfalls niederkommen.«
»Ich hoffe, dass es bei mir nicht mehr so lange dauern wird«, antwortete sie
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