Schwur der Sünderin
torkelnd die Scheune und blickte sich nach einem Bach um. Als sie kein fließendes Wasser finden konnte, stopfte sie sich gierig eine Handvoll Schnee in den Mund, um ihren Durst zu stillen. Dann zog sie an Ort und Stelle ihre Kleider aus und rieb sich die nackte Haut und die wunden Stellen zwischen den Beinen mit Schnee ab, bis sie glühte. Wie von Sinnen wusch sich Anna Maria den Schoß, in der Hoffnung, den Samen und den Geruch des Mannes fortwischen zu können. Erst als ihre Haut wie Feuer brannte, hörte sie damit auf und ließ sich weinend in den Schnee fallen, wo sie liegen blieb.
Rasch kroch die Kälte in ihren Körper, sodass ihre Zähne aufeinanderschlugen. Schon bald spürte sie weder Füße noch Hände noch Gesicht. Gern würde ich jetzt sterben, dachte sie schluchzend. Veit, ihr Vater, ihre Geschwister – alle waren aus ihren Gedanken entrückt, sodass sie darüber nachdachte, nicht mehr aufzustehen und einfach zu erfrieren. »Lieber Gott«, flüsterte sie, »lass mich mit dieser Schande nicht weiterleben!«
Als ob der Himmel ihre Entscheidung missbilligte, stahl sich ein einzelner Sonnenstrahl durch die Wolkendecke und wärmte sanft ihren Körper. Anna Maria spürte das Metall des Medaillons auf ihrer Haut und fasste danach. »Veit«, flüsterte sie.
»Veit!«, brüllte sie.
Anna Maria starrte eine Weile zum Himmel und erhob sich dann. Mit langsamen Bewegungen rieb sie sich den Schnee und das Wasser von ihrem geschundenen Körper. Dann zog sie die klamme Kleidung und die Stiefel an. »Ich habe meinen Pilgerstab vergessen«, flüsterte sie und ging mit langsamen Schritten zurück zur Scheune. Angewidert durchstöberte sie das Heu, wo sie den Stab und auch das kleine Messer fand. Sie besah sich die scharfe Schneide und schwor im Stillen: Nie wieder wird mir ein Mann das antun. Dann steckte sie das Messer in die Rockfalte, nahm Beutel und Stock auf und wankte in Richtung Lehen.
Else Schmid saß vor ihrer Hütte und blinzelte in das helle Sonnenlicht. Entspannt schloss sie die Augen. Es tat gut, nach den feuchten Tagen der letzten Wochen die wärmenden Strahlen auf dem Gesicht zu spüren. Schon bald würde die Sonne der eisigen Dunkelheit weichen, und deshalb wollte Else die Wärme bis zum Schluss auskosten. Sie seufzte leise vor Wonne, doch dann ließ kalter Wind sie frösteln. Mit festem Griff zog sie das Schultertuch über ihre Haare und band es vor ihrem Kinn zusammen. Dabei blickte sie auf und glaubte in der Ferne einen Menschen zu erkennen, der scheinbar hin und her schwankte.
»Wer könnte das sein?«, murmelte sie und kniff die Augen leicht zusammen, um besser sehen zu können. Der Mensch schien zu straucheln und fiel hin. Else wartete einige Augenblicke, bis sie sicher war, dass sich am Boden nichts bewegte. Sicher jemand, der zu tief in die Flasche geschaut hat, dachte sie und schloss erneut die Augen, bis innere Unruhe sie wieder aufschauen
ließ. Der Mensch lag immer noch im Schnee, denn Else konnte ihn als dunklen Klecks in dem weißen Feld ausmachen.
»Er scheint vollkommen betrunken zu sein!«, schimpfte sie, doch dann überlegte sie: »Was soll ich mir um einen Saufbold Gedanken machen? Soll er liegen bleiben. Der Schnaps wird ihn wärmen.«
Die Sonne wanderte bereits hinter die Bäume des Waldes, sodass Elses Platz nun im Schatten lag. Schon wollte sie zurück ins Haus gehen, als ihr Gewissen sie zwang, erneut zu der zugeschneiten Wiese zu schauen.
Else stöhnte laut auf und fluchte. »Wenn ich ihn dort liegen lasse, erfriert er. Das ist so sicher wie das Kirchenglockengeläut am Sonntag.« Mürrisch ging sie ins Haus, legte sich ihren dicht gewobenen Umhang über und stapfte durch den harschen Schnee hinaus auf die Weide.
Anna Maria hatte keine Kraft mehr. Kälte und Erschöpfung lähmten ihre Bewegungen. Sie war weder fähig die Beine noch die Arme zu heben. Selbst die geschwollenen Lippen waren gefühllos geworden. Ich kann keinen Schritt mehr machen, gestand sie sich klagend ein, während ihre Knie langsam einknickten und sie zur Seite fiel. Nur mit Mühe drehte sie sich auf den Rücken und blickte keuchend zum Himmel empor. Jede Stelle ihres Körpers schmerzte. Selbst die warmen Sonnenstrahlen konnten sie nicht beleben.
Wäre ich am Mittag vor der Scheune liegen geblieben, hätte ich es hinter mich gebracht und wäre jetzt tot, dachte sie. Mit Erschrecken stellte Anna Maria fest, dass sie bei dem Gedanken über ihren eigenen Tod nichts spürte. Weder Trauer noch
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