Schwur der Sünderin
mit ihrem Bruder Peter zusammen, der eine brennende Kerze trug.
»Ich kann nicht schlafen!«, flüsterte er.
»Ich auch nicht! Lass uns in der Küche eine warme Milch trinken!«, schlug Anna Maria vor.
»So wie früher!«, stimmte er zu. Er löschte die Kerze und legte sie neben dem Türrahmen auf den Boden, dann gingen beide nach unten.
Als sie die Küche betraten, saß Jakob am Küchentisch und blickte sie aus rotgeränderten Augen an.
Anna Maria setzte sich neben ihn und legte ihren Arm um ihn. Wie ein kleiner Junge presste er seine Stirn an ihre Schulter und weinte. Peter setzte sich auf die andere Seite des Küchentischs, ergriff zaghaft Jakobs Hand und drückte sie sachte.
Nach einigen Augenblicken hatte sich Jakob wieder in der Gewalt und wischte sich mit dem Hemdsärmel die Tränen fort. »Ich hätte Matthias noch so viel zu sagen gehabt!«, flüsterte er heiser. Müde starrte er auf die Tischplatte.
Anna Maria erhob sich und ging wortlos hinaus, um kurz darauf mit einem gefüllten Krug zurückzukommen. Sie goss die Milch in einen gusseisernen Topf, den sie in die noch glimmende Glut der offenen Feuerstelle stellte. Als die Milch zu dampfen begann, füllte sie drei Becher und ließ jeweils einen Löffel Honig hineinlaufen. Anna Maria schob den Brüdern ihre Becher zu und setzte sich dann wieder neben Jakob. Stumm tranken die Geschwister kleine Schlucke, als Peter zu grinsen anfing.
»Wisst ihr noch, wie Matthias den Bienenstock im Wald plündern wollte und der Stock dabei herunterfiel und die Bienen ihn angriffen? Er ist gerannt, als ob der leibhaftige Teufel hinter ihm her wäre, und hat sich kopfüber in den Teich gestürzt«, lachte Peter.
Jakob nickte, und Anna Maria fügte hinzu: »Er hatte rote Stiche überall im Gesicht und an den Armen. Mutter war außer sich gewesen, weil er hätte sterben können. Matthias hatte oft mehr Glück als Verstand!«
»Ja«, sagte Jakob nachdenklich, »Matthias tat oft unüberlegte Dinge. Vater nannte ihn einen Tunichtgut, wenn Matthias wieder einmal mit verschrammten Beinen nach Hause kam, weil er über den Zaun flüchten musste, da die Rinder ihn gejagt hatten. Ein Wunder, dass ihm nicht viel früher Schlimmes passiert ist.«
Jakob schloss für einige Augenblicke die Augen. Dann blickte er gequält lächelnd seine beiden Geschwister an. »Matthias hat für manche Aufregung in unserem Leben gesorgt. Doch nun haben wir nicht einmal ein Grab, an dem wir für ihn beten können! Er ist verscharrt in fremder Erde«, schniefte er in sein Taschentuch.
Anna Maria sah bestürzt ihren Bruder Peter an, der seine Ellenbogen auf der Tischplatte abstützte und das Gesicht in den Händen vergrub. Zweimal atmete er laut ein und aus, dann blickte er zu seiner Schwester, die ihm zunickte.
»Jakob«, begann Peter mit gedämpfter Stimme zu sprechen, »ich weiß nicht, ob es richtig war, ich weiß nicht, ob du es verstehen wirst – aber wir haben Matthias nicht in der Fremde gelassen.«
»Was heißt das?«, fragte Jakob leise. Furcht war aus seiner Stimme zu hören.
»Wir haben Matthias nach Hause gebracht und neben Mutter beerdigt«, erklärte Peter und blickte seinem älteren Bruder fest in die Augen.
Jakobs Gesichtszüge wurden hart. »Was habt ihr getan?«, schrie er.
»Beruhige dich, Jakob! Was hätten wir machen sollen? Wir wollten unseren Bruder nicht zurücklassen. Sie haben Massengräber ausgehoben, um die vielen Toten zu bestatten. Hätten wir Matthias da ebenfalls verscharren sollen?«
»Nein, natürlich nicht! Ihr hättet ihm dort ein anständiges Begräbnis geben sollen!«, presste Jakob wütend hervor.
»Was ist los mit dir?«, fragte Anna Maria ihren ältesten Bruder. »Gerade hast du dich beklagt, dass Matthias in fremder Erde liegen würde, und jetzt machst du uns Vorwürfe, dass wir ihn zu Mutter ins Grab gelegt haben?« Erregt strich sie sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. »Kannst du ermessen, wie schwer es war, unseren toten Bruder tagelang durch das Reich zu fahren? Weißt du überhaupt, in welche Gefahr wir uns gebracht haben?«
Jakob sah seine Schwester an, die erregt weitersprach: »Stell dir vor, was passiert wäre, wenn uns die Soldaten erwischt hätten. Zum Glück hat uns Veit geholfen …«
Weiter kam Anna Maria nicht. Anscheinend hatte Jakob nur darauf gewartet, einen Grund zu finden, um aufbrausen zu können. »Schon wieder Veit!«, brüllte er. »Wer ist dieser Veit? Hast du zugelassen, dass er dich entehrte? Damit ist nun
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