Schwur der Sünderin
genoss: Hofmeister war seinem Grundherrn nur zum Kriegsdienst verpflichtet und musste weder Abgaben noch Fron- oder Spanndienste leisten. Besonders ärgerte Nehmenich, dass Hofmeister zum wiederholten Male auf Pilgerreise zog, was sich kein anderer im Dorf leisten konnte. Mit einer Wallfahrt konnte der Pilger seine Sünden tilgen und Verwandte aus der Vorhölle befreien. Andere konnten nur
Ablassbriefe kaufen, doch die waren teuer. Manch einer sparte ein Leben lang, um den Bruder, Oheim oder andere Angehörige aus dem Fegefeuer freizukaufen.
Das alles ging Karl Nehmenich durch den Kopf, als er Jakob mit seinem Blick zu durchbohren schien. Nur zu gern hätte er dem Hofmeister-Spross vor die Füße gespuckt. Aber Nehmenichs Lebenshunger war stärker, denn er wusste, was eine Einladung bei den Hofmeisters bedeutete. Seit Langem zum ersten Mal könnte er sich an einer reichlich gedeckten Tafel sattessen, sich mit allerlei Leckerbissen vollstopfen und dabei so viel Wein trinken, wie er schlucken konnte. Bei diesem Gedanken lief Nehmenich das Wasser im Mund zusammen. Dies konnte er sich nicht entgehen lassen, und so verkniff er sich seine Widerworte und nickte.
Bei mildem Sommerwetter saßen fünfzig gierige Mäuler an der gedeckten Tafel im Hofmeister-Hof und labten sich an den Speisen.
Jakob hatte sich nicht lumpen lassen und ein fettes Schwein geschlachtet. Auch einige Hühner waren im Suppentopf gelandet.
Anna Maria sah, wie die Mägde und ihre Schwägerin hin und her eilten, um die Gäste zufriedenzustellen, und selbst weder etwas aßen noch sich ausruhten. Sie ging zu Sarah und bat: »Lass mich euch helfen! Ich kann nicht ruhig sitzen und mich von euch bedienen lassen, während ihr schuftet.«
Mit ernster Miene blickte Sarah hoch. Sie hatte gerade Wein nachgeschenkt und sprach nun leise, sodass es außer Anna Maria niemand hörte: »Wegen dir und Peter veranstalten wir das Fest, da kannst du unmöglich mitarbeiten und die Gäste bedienen. Setz dich nieder und halte deine Finger ruhig. Außerdem tut mir die Arbeit gut, denn sie hindert mich am Grübeln!« Damit
ging sie zu der Feuerstelle, über der das Schwein an einem Spieß hing. Achtsam übergoss sie den Braten mit wohlriechender Brühe, dass die Flammen zischten.
Dankbar schaute Anna Maria ihrer Schwägerin hinterher, als sie Veits Blick spürte. Lächelnd setzte sie sich zu ihm. Veit legte sogleich den Arm um sie, als ob er allen zeigen wollte, dass Anna Maria zu ihm gehörte. Sie sah, wie Jakobs Blick sie beide mürrisch streifte.
Anna Maria wollte ihn gerade etwas fragen, als ihr Oheim Willi zu ihr sagte: »Die Frau, die du uns geschickt hast, kam gerade zur rechten Zeit, mein Kind. Sie ist fleißig, kann gut kochen und …«
Sein Tischnachbar unterbrach ihn und fügte augenzwinkernd hinzu: »Und hält ihm sein Bettchen warm.«
Als die Männer in Gelächter ausbrachen, blickte Willi sie scharf an. Sogleich verstummte das Lachen, und sie tunkten ihre Brotstücke in die Fettsoße auf ihren Tellern.
Anna Maria überlegte und schüttelte den Kopf. »Ich habe niemanden zur Rauscher-Mühle geschickt! Wann soll das gewesen sein?« Doch dann erinnerte sie sich, und ein Leuchten erhellte ihr Gesicht: »Du meinst Ruth und ihre beiden Söhne? Ich habe sie vor etlichen Monaten bei der Suche nach meinen Brüdern kennengelernt.«
»Ja«, schmatzte der Oheim, während er sich die Finger ableckte. »Ruth meine ich. Als sie ankam, war sie so dünn, dass ich Angst hatte, sie würde jeden Augenblick auseinanderbrechen. Aber jetzt ist sie genau nach meinem Geschmack.«
»Wo ist sie? Warum hast du sie nicht mitgebracht?«
»Ihr Jüngster, der kleine Jäcklein, ist krank. Deshalb ist sie zuhause geblieben. Aber ich soll dich von ihr grüßen.«
»Wie ist sie zur Rauscher-Mühle gekommen? Ich hatte ihr gesagt, dass sie sich hier auf dem Hofmeister-Hof melden und Tante Kätsches Haus beziehen könne.«
»Wie du weißt, war das Haus schon zu Lebzeiten der Tante baufällig gewesen. Beim letzten Herbststurm ist es in sich zusammengefallen«, erklärte ihr Bruder Jakob, der den beiden zugehört hatte. »Als die Frau mit den Kindern vor mir stand, wusste ich nicht, wo ich sie unterbringen sollte. Ich wollte sie aber nicht fortschicken, da du sie uns anvertraut hast. Zum Glück fiel mir ein, dass auf der Rauscher-Mühle die Magd gestorben war, und deshalb habe ich Ruth sogleich dorthin gebracht. Wie es scheint, war dieser Einfall richtig gewesen – für Ruth und für
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