Schwur des Blutes
Gestern hatte er Cira rasch aus dem Versteck geholt und weiterhin von Gentarras und Elassarius bewacht in einem kleinen Familienhotel außerhalb der City untergebracht. Cira gefiel die Situation nicht, aber sie hatte sich mit Beschwerden zurückgehalten. Sie hielt sich tapfer und ließ ihn seine Spuren verfolgen … nun ja, er hatte wieder den schnellen Abgang gewählt, weil er es nicht über das Herz brachte, ihr weitere schlechte Nachrichten zu überbringen. Er war ziemlich feige gewesen, auch wenn er Cira nur Schlimmes ersparen wollte. Vielleicht fiel ihm an Gregs Krankenbett der schonungsvollste Weg ein, Cira ihre Vergangenheit und das Dilemma mit ihrem Bruder Joe zu beichten.
„Na, wie geht’s dir, Kumpel?“ Jonas betrachtete das blasse Gesicht des jungen Mannes, das geschorene braune Haar, die Schläuche, durch die Flüssigkeiten liefen und die Wellen auf den Bildschirmen. Die Ärzte meinten, dass das Koma nicht tief wäre und Greg eine gute Chance habe, aufzuwachen. Sein durch Hunger jahrelang unterversorgter Körper hatte zu kämpfen. Jonas besah sich Gregs schlaff auf dem weißen Laken liegende Hand. Er sah sich kurz um. Es war unmöglich, ihn unbemerkt zu beobachten. Er hob sie vorsichtig hoch und bettete sie in seine, strich mit dem Daumen über die Adern seines Handrückens. Er hatte gelesen, dass Komapatienten alles mitbekamen, auch wenn sie nicht reagieren konnten. Nun, er glaubte nicht unbedingt daran, aber es schadete vermutlich nicht, wenn er Greg so zeigte, dass er da war, wenn ihm schon nicht die passenden Worte einfallen wollten.
„Danke, Greg. Danke, dass du Cira beschützt hast.“ Jonas schluckte schwer. Sein Herz tat einen Sprung, als hätte Cira seine Gefühle gespürt und ihm Kraft geschickt. Oder als hätte Greg ihn bestärkt, weiterzusprechen. Vielleicht kam es nicht auf die richtigen Worte an, sondern nur darauf, dass er hier saß. Er ahnte, dass Greg bereits durch eine Art Hölle gegangen war, dass er einiges gesehen, gehört und erlebt hatte. Sein geschundener Körper sprach eine deutliche Sprache. Dennoch lief er nicht schreiend vor fliegenden Steindrachen, blutrünstigen Vampiren und dem Teufel in Person davon. Stattdessen hatte er sich ihnen mit seinem schwachen menschlichen Leib entgegengestellt.
„Greg, bitte glaube mir, dass wir nicht alle so sind … Ich meine, es gibt Unterschiede bei uns, ebenso wie bei euch Menschen.“ Jonas verdrehte die Augen. Das klang, als plauderte er mit einem Kind. Aber schließlich hatte er so eine Unterhaltung auch noch nie geführt, und falls Greg tatsächlich wieder aufwachte, wusste er vielleicht besser mit seinen Worten umzugehen. Also lehnte er sich auf dem unbequemen Stuhl zurück, massierte weiter Gregs Hand, überprüfte mental seine Lebensfunktionen und begann zu erzählen, wie es für ihn gewesen war, als reinblütiger, süchtiger, versprochener Vampir auf eine Menschenfrau zu treffen, die ihn verzauberte – Cira. Jonas versuchte, Greg vor Augen zu führen, was sein selbstloses Eingreifen für ihn bedeutete. So verschlossen, wie Jonas sich zeit seines Lebens gegeben hatte, so spürte er nun, ähnlich wie bei seinem Geständnis Cira gegenüber, wie befreiend es sich anfühlte, zu reden. Gregs Zustand erleichterte es ihm und so berichtete er von Diandros Tod am 2. März dieses Jahres, der Begegnung mit seiner Familie auf der Beerdigung, dem dramatischen Zusammentreffen mit Cira und von der Legende, die sie umrankte.
Er fluchte leise über die schier unlösbaren Fäden des mystischen Rätsels, über den unauffindbaren, gestohlenen Diamantring mit dem gelben Zitrin, in dessen Innenseite er sein Schicksal hatte lesen können: Der mutige Löwe nehme seinen Stern zum Geschenk, er leitet deinen Weg.
~~
Samantha tränkte das Geschirrtuch im Kochtopf und tupfte Timothy über die Schläfen. Längst hatte sie ihn von all dem Blut und Dreck befreit und als die Bewunderung über seine rasche Heilung ihrer Erschöpfung wich, ließ sie die Geschehnisse Revue passieren.
Nachdem sie aus ihrer Bewusstlosigkeit in einem Gebüsch erwacht war, hatte sie sich vor Schmerzen und Angst erst einmal übergeben müssen, bevor sie sich durch die Dunkelheit strauchelnd auf die Suche nach Timothy begeben hatte. Noch immer konnte sie kaum fassen, wie sie ihn vorgefunden hatte. Er lag wie ein abgeschlachtetes Vieh in einer Blutlache, jede Hautpartie aufgeplatzt, aufgeritzt und geschwollen, sämtliche Knochen schienen gebrochen. Doch er atmete. In einem
Weitere Kostenlose Bücher