Science Fiction Almanach 1981
in einem der zerfallenden Türme aus belauert. Juan besaß sogar ein kleines Fernrohr, das er sich selbst zusammengebaut hatte. Er war geschickt darin, Dinge zu bauen und sich das Material dafür zu besorgen. Die Dreizackteufel hatten ihre Drachen aus Bambusstangen gebaut … aus Elektrokabeln, von den Wänden in verfalle n den Häusern abgerissen … aus Holz, von Türfüllungen a b gebrochen … Treibholz … Plastikplanen, die sie von den Zeltbewohnern gestohlen hatten, die aufwachten, um zu en t decken, daß das Heim über ihren Köpfen verschwunden war. Sie hatten riesige Flügel gebaut – Deltaflügel haup t sächlich. Und das Fliegen hatten sie geübt, indem sie von den zerfallenden Resten des East River Drive abgehoben hatten. Wenn der Wind richtig stand, waren manche von ihnen bis zu zwanzig Fuß hoch gekommen. Einer war fünf Minuten lang oben geblieben und hing dort an Gurten, die unter seinen Achselhöhlen befestigt waren. Sie übten Starts, sie flogen, sie drehten bei, glitten herab und landeten. Und die ganze Zeit hindurch wurden sie von den Spionen auf der anderen Seite beobachtet, die warteten.
„Juan, ich will nicht fliegen.“
„Willie, wir sind Seelenbrüder. Wenn ich allein in der Vorstadt leben würde, ohne dich, dann wäre ich nicht z u frieden.“
„Davon ist dein Kopf voll, Flucht in die Vorstadt. Ich käme da nie durch – ich bin zu schwarz. Du …“ Er streckte eine große schwarze Hand aus und berührte mit der Zär t lichkeit einer Mutter Juan an der Wange. „Du könntest dort durchkommen.“
„Mensch, Willie, du Blödmann, ich trete dir gleich in den Arsch. Bevor sie die Tunnels gesprengt haben, sind jede Menge Schwarze abgehauen.“
„Das glaub’ ich nicht.“
„Stimmt aber. Ich hab’ mit einem alten Mann geredet, muß fast sechzig sein, ein reines Wunder, daß er noch lebt, so alt ist er. Er hat’s erzählt – er war am Leben, als sie die Tunnels gesprengt haben.“
„So alt ist niemand, Juan.“
„Willie, ich lüge doch meinen Seelenbruder nicht an. A l so, dieser alte Mann, weißes Haar, kann sich kaum noch bewegen, sein kleiner Enkel holt ihm die Algenfladen im Speisungszentrum … dieser alte Mann meint, daß in den Vorstädten eine Menge Schwarze leben.“
Willie zuckte die Achseln. „Auch egal. Wir können nicht fliegen, und das weißt du auch, Juan.“
„Klar können wir. Wir müssen bloß hoch genug starten, das ist alles. Wir fliegen über sie weg, so hoch, daß sie uns nicht sehen.“
Juans Stimme war leise und überzeugend. Willie prot e stierte; aber die ganze Zeit, in der er nein sagte, wußte er in seinem Innersten doch, daß er das machen würde, was Juan ihm sagte. Sie waren schon ihr ganzes Leben zusammen. Wenn Juan floh, dann mußte Willie auch mit, das wußte er. Er konnte ohne Juan nicht leben. Wenn Juan weg wäre, dann würde er sich irgendwo auf die Straße legen und ei n fach sterben.
„Na schön, Juan, ich höre es mir an. Aber versprechen tu ich nichts.“
Willie sah das Lächeln auf Juans Lippen, sah, wie er se i nen vollen Mund listig verzog. Jeder andere, der Juan so lächeln sah, würde sich Gedanken machen. Das roch nach Schwierigkeiten; aber nicht für Willie. Juan liebte ihn wie einen Bruder. Zusammen, mit Juans Verstand und Willies Muskeln, waren sie ein Team. Nichts konnte sie aufhalten. Juan sagte es Willie ständig: „Denk an die Nummer eins, Willie. Mach dich nicht verrückt über die anderen – nur über dich selbst.“ Das war Juans Philosophie. Und Willie stimmte ihm laut zu; aber für sich, in seinem Kopf, fügte er immer hinzu: „An dich denke ich auch, Juan. Vor mir denke ich an dich!“
Juan zog zwei Algenfladen heraus, die er sich irgendwo besorgt hatte, gab einen dem hungrigen Willie und kaute selbst an dem anderen.
„Wir hauen von oben ab, Willie. Von ganz oben in einem Turm.“
Wieder rollte Willie angstvoll die Augen. Höhen mochte er nicht. Manche wohnten in den alten Türmen ziemlich weit oben; aber weil der Strom abgestellt war, taugten die Fahrstühle nur noch als Familienwohnungen. Die meisten wollten nicht zu viele Treppen steigen. Das verbrauchte Energie. Und bei den dürftigen Rationen, die die Kopter j e den Tag einflogen und an den Zentren abwarfen, um nicht das Risiko einzugehen, daß Banden die Besatzungen übe r wältigten und in den Maschinen entkamen, hatte man nicht viel Energie zu verschwenden. Man hatte alle Hände voll damit zu tun, in der Innenstadt zu überleben. Daher waren die
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