Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Science Fiction Almanach 1982

Science Fiction Almanach 1982

Titel: Science Fiction Almanach 1982 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
Vom Netzwerk:
Crescentin verwandelt die Kraft der Teilungsfortpflanzung bei diesen runden Einzellern in eine Kraft der Fortentwicklung. Das ist nicht bloß Teilung – ein festes organisches Gefüge baut sich aus vielen Zellen auf! – Da üben gewisse Zellgruppen ganz bestimmte Funktionen aus! Nicht mehr der Gesamtkörper ist es, der sich fortbewegt – fadenförmige Randteile vertreten bereits die Stelle der Gliedmaßen – – –“
    Imag schwindelte es; etwas Unerhörtes war geschehen: Alle Versuche, die zur Umformung bestehender Arten führten, waren unter Ausnutzung bekannter Naturgesetze durch die Natur selbst ausgeführt. Er, Berthold, war der erste, dem es gelungen war, mit Hilfe der Chemie, die schöpferischen Entwicklungskräfte willkürlich zu beeinflussen, ganz im kleinen natürlich nur, aber: welche Perspektiven eröffneten sich!
    Alle Gegenstände im Zimmer schienen sich vor den Augen des Naturforschers zu drehen. „Mit meinem Crescentin tut sich ein ganz neuer Zweig der Wissenschaft auf, die Experimental-Anthropologie!“ schrie er begeistert. Dann entnahm er seinen Reinkulturen eine neue Kolonie von Mikroben, legte sie unter das Mikroskop, tat von der roten Flüssigkeit hinzu und beobachtete abermals. Die einzelnen Kernzellen spalteten sich im Innern, vermehrten sich, wuchsen und, was war das, bildeten sich nicht da regelrechte Gliedmaßen aus? – Noch ein Atömchen Crescentin. – Ein Tierchen war besonders stark und füllte bald das ganze Gesichtsfeld aus, seine Durchsichtigkeit hatte es längst verloren, doch die Seitenspiegel belichteten es noch eine Zeitlang und jetzt, wahrhaftig, das waren wirkliche Ruderfüßchen und Facetteaugen, auch Kiefer ließen sich erkennen.
    Der Gelehrte zitterte so heftig, daß er den ganzen Rest seines Präparates aus der Pipette auf das Glasplättchen spritzte. Doch er merkte es nicht, denn er war gezwungen, sich auf dem Stuhle zurückzulehnen und die Augen zu schließen; das Gesehene drohte ihm den Verstand zu verwirren und machte ihn unfähig zu weiteren Beobachtungen. So hörte er nicht das Klirren des Glases und ein sonderbares Krabbeln, Rutschen und endlich Poltern. Erst als das Mikroskop umfiel, öffnete er die Augen und da sah er: einen nackten Menschen, der auf der Tischkante saß und ihn groß anblickte. Die Glieder des Geschöpfes waren zart, aber von einer herrlichen Ebenmäßigkeit; am auffallendsten aber waren die wunderbaren Augen und die gewaltigen Ausmessungen des Schädels, die indessen nichts Pathologisch-Makrocephales an sich hatten.
    Ein Schauer der Ehrfurcht durchrieselte Berthold. Dem großen Weltgeist hatte es gefallen, ihm die Lösung des Schöpfungsrätsels zu geben, ihm, der sich zu diesem Meisterwerk verhielt, wie ein Australneger zu einem Kaukasier. Ja, die Geheimnisse des Werdens waren enthüllt, zwar nicht ursächlich, aber doch effektiv. Atemlos saß Dr. Imag, er wagte sich nicht zu rühren und wartete auf die ersten Äußerungen des Intellekts mit einer Aufregung, die noch zehnmal größer war, als vorhin, wie er die erste Wirkung des Crescentins wahrnahm.
    Eine Weile herrschte Totenstille im Raum, dann ertönte eine sonderbar rauhe, krächzende Kehlstimme: „Nein, wirklich, lieber Mann, Sie müssen nicht von mir erwarten, daß ich mich über mein Dasein wundere, ich bin darüber viel mehr im klaren, als Sie es sind. Gewundert habe ich mich nur eine kurze Zeit darüber, daß Sie mich durch Ihre Verständnislosigkeit dazu zwingen, mich der kümmerlichen, atavistischen Reste meines Sprechvermögens zu erinnern. Ihre niedrige spirituelle Organisation war mir nicht sofort geläufig, trotzdem ich meine Gedankenwellen mit beleidigender Deutlichkeit mehrere Male erfolglos gegen Ihren Hirnbehälter geworfen habe. Nun denn, so sei es gesagt: Wollen Sie mir nicht eine Hose leihen?“
    Berthold Imag war beleidigt, aber er erhob sich und holte einige Garderobe. „Von Ihnen hätte ich zu allerletzt Kränkungen erwartet“, konnte er sich nicht enthalten, zu sagen. „Wenn Sie aus sich heraus die fertige, höchstmögliche Geistesentwicklung mitbringen, so sollten Sie doch wissen, daß Sie meiner exakten Forschung Ihr Dasein verdanken.“
    Während das wunderbare Geschöpf sich etwas umständlich ankleidete, antwortete es:
    „Ach so, auf Ihrer jetzigen Entwicklungsstufe ist man noch sentimental –“
    „Sentimental?“
    „Na ja, natürlich. Wenn Sie die Gedanken Ihrer Mitmenschen stets in ihrer ganzen Ursprünglichkeit vor sich hätten, würden Sie sich

Weitere Kostenlose Bücher