Science Fiction Almanach 1983
auf die Birne. Im Video wurde groß darüber berichtet. Weißt du das nicht mehr?“
„Nein“, gestand Erika und zog die Bettdecke über ihre Brüste. „Und überhaupt, was soll dieses zusammenhanglose Gefasel? Bist du wieder bis zum Stehkragen voll mit Dope?“
„Ich betreibe private Vergangenheitsbewältigung“, sagte Alf grimmig. Mit zornrotem Gesicht sprang er aus dem Bett und stapfte ins Badezimmer, wo er sich den drei Tage alten Bart abrasierte. „Was ich damit sagen will ist: Wir alle stecken die Köpfe in den Sand. Und wenn wir so weitermachen, dann kriegen wir sie nie wieder raus. Von dem Tritt, den man uns dann verpassen wird, gar nicht zu reden.“
Das Summen des Rasierapparates – eines billigen Importmodells aus Simbabwe mit sechs Mikroprozessoren und sage und schreibe dreiundzwanzig Modulen und diversen Halbleitern – übertönte seine weiteren Worte. Erika verstand nichts. Im übrigen interessierte sie sich auch nicht dafür, sondern war in diesem Moment damit beschäftigt, Alfs Pornohefte durchzublättern.
„Wow!“ machte sie anerkennend. „Das is’ ja’n Ding!“
* * * Von ähnlichen Gedanken erfüllt, erreichte Onnedecker indessen sein Ziel, ein rosagestrichenes, vierstöckiges Haus in Citynähe mit falschen Stuckverzierungen und unzüchtigen Neonreklamen, dessen Grundstein am 4. März 1938 von dem Regierungsrat Schellenberg gelegt worden war, einem engen Vertrauten des damaligen SS-Gruppenführers Heydrich. Wie damals, so erfreute sich auch zu diesem Zeitpunkt Bernie’s Big Pub eines gewissen Rufes in Heilbronner Insider-Kreisen, eine Tatsache, auf die Bernie stets mit Stolz hinwies. Im Foyer dieses Etablissements lief bis vor kurzem noch jeden Abend der Braunheimer Marsch, und es roch nach ungewaschenen Unterhosen; ein Beweis für Onnedeckers Exzentrik und Bernies verdrehtes Hygieneverständnis. Was Onnedecker betrifft, so ahnte er noch immer nichts von KMK-37 und ihrem erstaunlichen Vermehrungsvermögen, an dem bald auch die übrige Bevölkerung Heilbronns teilhaben sollte. Der Professor mit den bemerkenswerten Leistungen auf dem Gebiet der modernen Biochemie und der nicht minder modernen Genetik wies Wolf an, eine Stunde auf ihn zu warten, und schlüpfte dann – getarnt mit falschem Bart und einem bodenlangen Lodenmantel – aus der Kevlar-Limousine, um nur Sekunden später in Bernie’s Big Pub unterzutauchen. Wolf baute seinen Kontakt mit Ost-Berlin weiter aus. Was hätte er auch sonst tun sollen, um die Wartezeit zu überbrücken? * * *
„Je mehr ich darüber nachdenke“, erklärte Alf und verließ nach dem gründlichen Ritual des Zähneputzens das Badezimmer, „desto deutlicher verfestigt sich in mir die Überzeugung, daß dringend etwas unternommen werden muß.“
„Ganz deiner Meinung.“ Erika legte das Pornoheft zur Seite und entblößte ihren höhensonnengebräunten Körper. „Denn mal druff, Bursche.“
„Die Leute wissen ja noch nicht einmal, um was es geht, wenn von der schrecklichen Atomrüstung gesprochen wird.“ Alf schlüpfte in seinen karierten Minislip und begann unter dem altmodischen, hochbeinigen Bett nach seinen Socken zu suchen. „Oder glaubst du, einer von den Knaben in Spangdahlem hätte auch nur die blasseste Ahnung, auf was für einem Pulverfaß er hockt? Dabei sind die Raketen direkt vor ihrer Haustür stationiert. Nun, vermutlich kann nur der örtliche Zwergschullehrer das Wort Cruise Missile fehlerfrei buchstabieren. Und das bei dieser Sprengkraft.“
Erika kräuselte die ungeschminkte Stirn. „Was redest du da eigentlich?“ wollte sie unwirsch wissen. „Was ist überhaupt mit dir los?“
Alf
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