Science Fiction Anthologie Band 3 - Die Vierziger Jahre 1
eine Menge über Physiologie lernen.“
„Aber was ist das da? Nervenstränge?“
„Nein, das sind keine Nerven. Hier die Arterien; dort die Venen. Eine merkwürdige Aorta …“ Paradine stutzte. „Das … Was ist das lateinische Wort für Netzwerk? Egal … Rita? Rata?“
„Rales“, schlug Jane aufs Geratewohl vor.
„Das hat was mit der Atmung zu tun“, sagte Paradine gepreßt. „Ich kann nicht begreifen, was dieses aufleuchtende Netzwerk sein soll. Es erstreckt sich über den ganzen Körper, wie ein Nervensystem.“
„Blut.“
„Unsinn. Kein Kreislauf, kein Nervensystem … Komisch! Es scheint mit den Lungen verbunden zu sein.“
Sie beschäftigten sich intensiver mit der seltsamen Puppe. Sie war mit bemerkenswerter Detailgenauigkeit gebaut; und das wiederum war im Hinblick auf die physiologischen Abweichungen seltsam.
„Warte, ich hole das medizinische Handlexikon“, sagte Paradine, und schon verglich er die Puppe mit den anatomischen Faltblättern. Er erfuhr wenig daraus, doch seine Verblüffung nahm noch zu.
Aber es war unterhaltsamer als ein Puzzlespiel.
In der Zwischenzeit schob Emma im Nebenraum die Kugeln in dem ,Abakus’ hin und her. Die Bewegungen erschienen nun nicht mehr so eigenartig. Selbst, wenn die Perlen verschwanden. Sie konnte ihrer neuen Richtung fast folgen … fast …
Scott starrte herzklopfend in den Kristallwürfel und gab Gedanken-Befehle; beim Errichten einer Konstruktion, die weit komplizierter war als die, die eben vom Feuer zerstört worden war, machte er viele falsche Ansätze. Auch er lernte … wurde konditioniert …
Wenn man es rein anthropomorphisch sah, machte Paradine den Fehler, die Spielsachen nicht augenblicklich loszuwerden. Er erkannte ihre Bedeutung nicht; und als er es schließlich tat, waren die Ereignisse schon zu weit fortgeschritten. Onkel Harry war nicht da, also konnte Paradine mit ihm nichts abklären. Außerdem liefen gerade die Zwischenprüfungen, und das hieß: große geistige Anstrengung und völlige Erschöpfung am Abend; und Jane kränkelte eine gute Woche lang. Emma und Scott hatten mit den Spielzeugen freie Hand.
„Was ist“, fragte Scott eines Abends seinen Vater, „was ist ein Gemank, Vati?“
„Gemenge?“
Er zögerte. „Ich … ich glaube nicht. Ist Gemank nicht richtig?
„Meinst du Manko?“
„Ich wüßte nicht“, murmelte Scott und machte sich stirnrunzelnd davon, um sich mit seinem ,Abakus’ zu vergnügen. Er konnte ihn jetzt schon ziemlich geschickt handhaben. Aber mit dem Instinkt von Kindern, die Unterbrechungen möglichst vermeiden wollen, pflegten er und Emma nur für sich allein mit den Spielsachen zu spielen.
Das war natürlich nicht offensichtlich – aber verzwicktere Experimente wurden nie unter den Augen eines Erwachsenen durchgeführt.
Scott lernte schnell. Was er jetzt in dem Kristallwürfel sah, hatte kaum noch Beziehung zu den anfänglichen simplen Problemen. Sie waren von faszinierend technischer Natur. Hätte Scott geahnt, daß seine Ausbildung – wenn auch nur mechanisch – angeleitet und überwacht wurde, hätte er wahrscheinlich das Interesse verloren. So wie es war, wurde seine Initiative nie unterdrückt.
,Abakus’, Würfel, Puppe – und andere Spielsachen, die die Kinder in dem Behälter fanden …
Weder Paradine noch Jane ahnten, welch große Wirkung die Inhalte der Zeitmaschine auf die Kinder hatten. Wie konnten sie auch? Kinder dramatisierten instinktiv, schon aus Gründen des Selbstschutzes. Sie haben sich noch nicht an die Notwendigkeiten – die ihnen zum Teil unerklärlich sind – einer reifen Welt angepaßt.
Von dem einen wird ihnen gesagt, daß sie im Dreck spielen, aber beim Graben keine Blumen oder Bäumchen ausreißen dürften. Ein anderer Erwachsener verbietet den Dreck per se. Die Zehn Gebote sind nicht in Stein gemeißelt; sie variieren, und Kinder hängen hilflos von den Launen derer ab, die sie zur Welt bringen, sie ernähren und kleiden. Und tyrannisieren. Die jungen Tiere widersetzen sich dieser wohltätigen Tyrannei nicht, denn für sie ist sie ein wesentlicher Bestandteil der Natur. Sie sind jedoch Individualisten und erhalten ihre Integrität in einem subtilen, passiven Kampf.
Unter den Augen eines erwachsenen Tieres ändern sie sich. Wie Schauspieler auf der Bühne geben sie sich Mühe, zu gefallen und gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Es ist schwer zuzugestehen, daß Kindern die Subtilität fehlt. Kinder unterscheiden sich vom heranwachsenden Tier, weil sie
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