Science Fiction Anthologie Band 3 - Die Vierziger Jahre 1
darstellte. So weit, so gut – solange er jedoch nur in die Halle blickte, würde er nicht feststellen können, auf welche Zeit das Tor eingestellt war. Behutsam schob er eine der farbigen Kugeln weiter; die Szene flimmerte durch die Wände des Palastes und blieb im Freien stehen. Er schob die weiße Zeitkontrollkugel auf den Nullpunkt zurück und dann ganz, ganz langsam darüber hinaus. In dem Miniaturbild auf dem Kontrollschirm wurde die Sonne zu einem strahlenden Kreisbogen über dem Himmel; die Tage flimmerten vorbei wie das Flackern einer ausbrennenden Neonlampe. Er erhöhte die Geschwindigkeit ein wenig und sah den Boden verdorren und braun, von Schnee bedeckt und wieder grün werden.
Mit größter Sorgfalt arbeitend, seine rechte Hand mit der linken abstützend, ließ er die Jahreszeiten vorbeiziehen. Er hatte zehn Winter gezählt, als er irgendwo in der Ferne Stimmen hörte. Er hielt inne und lauschte, stellte dann hastig die Raumkontrolle auf Null zurück, ließ die Zeitkontrolle so, wie sie war – eingestellt auf zehn Jahre in der Vergangenheit – und rannte aus der Kanzel.
Er ließ sich kaum Zeit, seine Koffer zu packen, sie hochzuheben und mitsamt seiner Last durch das Tor zu springen. Diesmal achtete er jedoch trotz seiner Eile sorgfältig darauf, nicht den Rand des Kreises zu berühren.
Wie er geplant hatte, fand er sich auf der anderen Seite in der Torhalle wieder, aber wenn er die Zeiteinstellung richtig gedeutet hatte, durch zehn Jahre von den Ereignissen getrennt, an denen er noch soeben teilgenommen hatte. Eigentlich hatte er Diktor einen größeren Vorsprung lassen wollen, doch die Zeit war zu kurz gewesen. Aber da Diktor, überlegte Wilson, nach seinem eigenen Eingeständnis und nach dem Beweis in seinem kleinen Notizbuch ebenfalls aus dem zwanzigsten Jahrhundert stammte, würden zehn Jahre vielleicht genügen. Diktor mochte sich in dieser Ära noch nicht hier befinden; wenn aber doch, so blieb ihm immer noch das Zeittor, um sich aus dem Staube zu machen. Vernünftiger wäre es auf jeden Fall, zuerst einmal die Lage zu erkunden, bevor er womöglich weitere Zeitsprünge unternähme.
Plötzlich fiel ihm ein, daß Diktor ihn vielleicht durch das Kontrollbild der Steuerkanzel auf der anderen Seite des Tores beobachten könnte. Ohne sich Zeit zu der Überlegung zu nehmen, daß Eile keinen Schutz bedeutete – da man ja durch das Kontrollbild jeden beliebigen Zeitabschnitt beobachten konnte –, schleppte er eilends seine beiden Koffer in Deckung hinter die Steuerkanzel. Hinter den schützenden Wänden der Kabine beruhigte er sich ein wenig. Die Beobachtung war in beiden Richtungen gleicherweise möglich. Erfand die Steuerung auf Null eingestellt; indem er noch einmal die gleiche Methode anwandte, versetzte er die Szene im Kontrollbild zehn Jahre in die Zukunft und ging dann mit der Raumkontrolle wieder auf Null. Es war eine sehr schwierige Aufgabe; die notwendige Geschwindigkeit, um in ein paar Minuten die umliegenden Monate zu durchforschen, ließ jede Gestalt so rasch über das Kontrollbild sausen, daß er ihr unmöglich mit dem Auge folgen konnte. Mehrere Male glaubte er in vorbeihuschenden Schatten menschliche Wesen erkannt zu haben, aber sobald er die Zeitsteuerung anhielt, konnte er sie nie wiederfinden.
Mit großer Erbitterung dachte er darüber nach, warum der Erbauer dieses verflixten Gerätes es nicht mit einer Gradeinteilung und einer Art Nonius – einer Vorrichtung zum Ablesen kleinster Maßeinheiten – versehen hatte. Erst viel später ging es ihm auf, daß der Schöpfer des Tores zur Zeit ein so umständliches Hilfsmittel für seine Sinne gar nicht gebraucht haben mochte. Er wollte beinahe schon aufgeben, als ein weiterer, bislang ergebnisloser Versuch rein zufällig mit einer sichtbaren Gestalt im Kontrollbild endete.
Er erblickte sich selbst, wie er, zwei Koffer schleppend, geradewegs in das Sichtfeld hineinmarschierte, größer wurde, den Bildschirm völlig ausfüllte und verschwand. Er warf einen Blick über die Seitenwand, halbwegs erwartend, sich selbst aus dem Tor treten zu sehen.
Doch niemand trat aus dem Tor. Das verblüffte ihn, bis er sich daran erinnerte, daß ja die Einstellung auf der anderen Seite, zehn Jahre in der Zukunft, den Austritt aus dem Tor kontrollierte. Doch er hatte erreicht, was er wollte; bequem lehnte er sich zurück und beobachtete. Fast unmittelbar darauf erschienen Diktor und eine andere Ausgabe seiner selbst auf der Szene; er erkannte sie wieder,
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