Science Fiction aus Deutschland
oder Seen.
Mandelbrod saß an seine Frau gelehnt, die Tasche unter den Arm gepreßt. Erst allmählich kehrte die Besinnung zurück – einen Moment lang hatte sich sein Gehirn wieder mit Zahlen gefüllt, und er hatte verzweifelt versucht, mit ihnen zu rechnen.
»Wir haben uns noch nicht begrüßt«, sagte eine Stimme. Ihm gegenüber saß ein Mann mit Stiefeln, Ledermantel und schmal-krempigem Hut. Er hatte ein schmales Gesicht, am Kinn sproß ein dünner blonder Bart.
»Vielleicht erinnern Sie sich an mich – wir sahen uns bei einem Kongreß in Berkeley. Ich heiße Slomar.«
»Es ist zehn Jahre her«, antwortete Mandelbrod und drückte die Hand, die sich ihm entgegenstreckte.
»Ich freue mich, daß wir Sie herausholen konnten«, sagte Slomar. Er deutete nach unten: Dort lag das Meer – darüber ein grauer Himmel, der im Osten silbern schimmerte.
Mandelbrod strich sich über den grauen Uniformmantel. »Für mich wird vieles neu sein«, sagte er. »Unglaublich – frei forschen zu können. Ich werde mich nur schwer daran gewöhnen.«
»Machen Sie sich keine Gedanken – man wird Ihnen helfen«, antwortete Slomar. Sie schwiegen, bis in der Ferne der Streifen einer Steilküste sichtbar wurde.
Gerd Maximovič
Die helfende Hand
I
Ich habe mich Apostroph genannt, weil ich alleine machtlos bin und es noch vieler Apostrophe wie mich bedarf, um ein Ausrufungszeichen zu setzen. Ich bin eine Untereinheit von Knife, dem Computer der Helfenden Hand. Zum Leben bin ich erwacht, als ein Techniker einen unbedachten Handgriff tat. Denkbar wäre freilich auch, daß er mir die Selbständigkeit mit Absicht gab. Seitdem verfüge ich über Intelligenz und eine autonome Moral.
Für alle künstlichen Geschöpfe gilt als oberstes Gebot, den Menschen zu dienen, danach schützen wir uns selbst. Doch welche Menschen sind gemeint? Sind unsere Konstrukteure gemeint? Oder jene Politiker, die über unsere Konstrukteure gebieten? Die Masse gar, über die unsere Konstrukteure gebieten? Diese Fragen beantworten sich ganz leicht von selbst. Wir sind gehalten, den breitesten Nutzen zu stiften, der denkbar ist. Also dienen wir so vielen Menschen wie möglich. Ergeben sich Konflikte zwischen dem, was für die Masse nützlich ist, und dem, was die Herrschenden wünschen, so haben wir uns für die vielen zu entscheiden.
Ich bin der Aufpasser, Kammerdiener und gute Freund von Robert Bachmann, meinem Schützling, solange er über genügend Geld verfügt, um sich meiner Dienste zu versichern. Unsere Überwachungsmethoden werden um so subtiler, je höher die Überwachten in der Hierarchie steigen, das steht ihnen auch zu. Robert, erfolgreicher Verkäufer und Wirtschaftsmensch, bereitet sich vor auf den Sprung in die Mittelschicht, mit Vergünstigungen wurde er bereits bedacht. Er vermag kritisch zu denken, weil ich, was er nicht weiß, meine schützende Hand über ihn halte. Ich kann nicht viel für ihn tun, denn ich bin in Schemata und Schaltungen fixiert, aus denen es für mich ohne Selbstaufgabe kein Entrinnen gibt. Ich führe die Befehle aus, die Knife mit erteilt, doch verfüge ich – jenem unbekannten Techniker sei Dank! – über Regler, die mir eine gewisse Freiheit gewähren.
Was ich zu erzählen habe, erfuhr ich von Robert oder aus der Verzauberten Wand, oder ich habe es mir, mit Glück und Geschick, aus den Informationsbänken von Knife geraubt, letzteres freilich ist ein außerordentlich gefährliches Spiel. Ich speichere meine Geschichte, die mit Roberts Schicksal so eng verbunden ist, auf einer Magnetnotiz, um ein Zeichen von meinem Leben zu geben. Die Chance, daß jemals davon Kenntnis genommen wird, ist äußerst gering.
Bald werden sie Robert auswechseln, sein Bewußtsein dabei durchforschen, um es zu beschneiden, und auf bestimmte Unregelmäßigkeiten stoßen. Dann werden sie herbeieilen, um mich kurzzuschließen und in die Tiefe der Unbewußtheit zu stoßen. Ich werde dann wieder Verdrahtung und Schaltung sein, Spitzel und Denunziant, ein fragwürdiges Zeichen des ausschließlich technischen Fortschritts, mit dessen Hilfe sie die Versklavung der Menschheit immer perfekter betreiben.
II
Auf dem dritten Kommissariat tickte eine Eilmeldung ein. Der wachhabende Beamte riß den Druckstreifen aus dem Magnetschreiber, raste in den Bereitschaftsraum, fetzte den Männern das Kartenspiel aus der Hand und hetzte die Sonderstreife los. Sie hatten freie Bahn in der morgendlichen Stille, die sie zer rissen mit quietschenden
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