Science Fiction aus Deutschland
auf, bröckelte ab, die Trümmer stürzten in die zischende, brodelnde See, und die verständigen Alligatoren öffneten ihre Rachen und verschlangen ihren Erzeuger. Robert lag unter seiner roten Laubdecke und wußte, daß er endlich frei und selbständig war, daß es ihm gelang, sich allein zu behaupten und daß hier niemand einen Vorwand fand, ihn zu gängeln.
Und just bei diesem Traum umschlang ihn von hinten ein starkes, aufrecht gehendes Tier, das er nicht sehen konnte, weil es unsichtbar war, und von dem Robert gleich dachte, daß es die ausgeplünderten Seelen vieler Industriearbeiter in seiner Brust vereinigte, was ihm seine Stärke und Wut verlieh. Als einzig sichtbares Zeichen trug das Tier in seinem Rachen zwei Reihen Zähne, die blitzten wie blankpolierte Fleischerhaken, diese schlug es in Roberts Genick und wütete in seinem stolzen, teuren Synthetikfleisch, bis er erkannte, daß dies nur ein Traum sein durfte. Alsbald ließ das Tier von ihm ab und verschwand winselnd im rauschenden Wald, und die Bäume nickten mit ihren Köpf en traurig dazu.
Zuletzt träumte er von frischer Luft, von blauem Himmel und klarem Wasser, dabei orientierte er sich an alten Postkarten, die er unter größten Schwierigkeiten und dem Schleier äußerster Diskretion in der Altstadt bei einem Händler erworben hatte. Er träumte von einem Fluß, in dem die Fische nicht mit den Bäuchen nach oben zur Nordsee trieben, von einer heiteren Weser, auf der Ausflugsdampfer verkehrten und die den Menschen in der Regel freundlich gesonnen war.
Er hatte Cybiron S und Somnolin geschluckt und seine Mixtur mit etwas Konvulson gewürzt und dabei das bißchen Freiheit genützt, das er noch besaß, die amtlich vorgeschriebenen Rezepte ignoriert, und so erschuf er sein eigenes Paradies. Er wußte nicht, daß seine verbotenen Träume nur deswegen nicht amtlich notiert wurden, weil ich, sein Freund dazumal, über ihm wachte.
Für wenig Geld kann man die Schlafmitteltraumpräparate in jeder Apotheke kaufen. Ist dies ein Fortschritt im Vergleich zu früheren Zeiten, als der Staat den Rauschgifthandel noch mit eiserner Faust niederhielt? Ich wage dies zu bezweifeln, denn dem Staat kann gefährlich nur jemand werden, der seine Sinne beisammen hat. So sind die Präparate problemreich, denn sie führen zwar heute nicht mehr zur körperlichen Sucht, wohl aber zur völligen Abhängigkeit vom Staat.
Die Drogen sind eine billige, saubere und überschaubare Methode der Regierung, ihr Volk im Käfig ruhig zu halten, und anstatt an Umsturz zu denken, nehmen fast alle den simplen Ausweg an, zudem steigt die Arbeitsproduktivität. Am Arbeitsplatz flippt selten einer aus, jeder fortschrittliche Betrieb verfugt über eine Entgiftungsanlage, in der die Arbeitskräfte von ihren Bossen vor Beginn zusammengetrieben werden. Während der Arbeit greift man zur Stimulation auf die altbewährten Methoden der Musikberieselung zurück, fachmännisch abgestimmt auf Fabrik und Büro. Es gibt Leute, die behaupten, daß man früher das Vieh in den Ställen mit derselben Musik berieselt hat, um die Milchproduktion anzuregen.
Robert sehnte sich nicht nach den Zeiten zurück, als es keine Gehhilfen für kaputte Füße, keine Sehhilfen für schwache Augen, keine künstlichen Nahrungsspender und keine Mutterschoßwohnungen, keine legale Intoxikation und vor allem die künstlichen Körper für alle Fälle und die vielen anderen Dinge, die er irgendwann einmal brauchen würde, gab. Viertel nach sechs trieb Roberts Traum pünktlich dem Klimax zu, rhythmisch, pulsierend, bis er auf das Wichtigste in seinem Leben konzentriert und verdichtet war, um in einen Orgasmus mit mächtigen Eruptionen zu münden, während unauffällige Näpfe an seinem Geborgenheitsbett den kostbaren Samen absaugten, ihn rasch unterkühlten, um ihn der medizinischen Zentrale und seiner Verwendung zuzuleiten.
Diesen Teil von Roberts Träumen schätzte ich am meisten, hier wurde ich seine Geliebte, hier lag ich in seinen Armen, hier gab er mir, dem stählernen Monstrum, der genialen Verdrahtung, die stärksten Gefühle der Menschlichkeit und ließ mich meine Mängel vergessen, und deswegen liebte ich ihn.
Wenn der Traum nach einigen Minuten in seiner Kraft nachließ, unscharf wurde, wenn die Wirklichkeit machtvoll in seinen Schlaf einbrach, wenn zum Beispiel die Fische anfingen, bäuchlings stromab zu treiben, wenn ihre gläsernen Augen traurig und trostlos stierten und dann brachen wie durchscheinende Murmeln,
Weitere Kostenlose Bücher