Science Fiction aus Deutschland
Beobachter.«
Nun neige ich seit eh und je zu Alpträumen; durch langjährige Gewohnheit wird es mir aber leicht, auch im Traum jederzeit zu wissen, daß es sich um einen Traum handelt; ich pflege mit einem belustigten Lächeln auf die verworrenen Pläne, Forderungen und Handlungen der Chimären meines Schlafes einzugehen, mich erheitert in Abgründe zu stürzen und dem Unhold mit der Keule keineswegs auszuweichen. Wird die Situation freilich zu unangenehm, genügt fortan die einfache Feststellung: »Ich träume nur!« Alsbald verblassen alle die Schemen, und ich wache auf.
Als ich nun sah, daß der Fremde, der vor mir stand, die zweigeteilte Zunge einer Schlange hatte, machte mir die Situation fast Spaß.
»Sie haben recht«, sagte ich also belustigt, »ich bin ein außerordentlich guter Beobachter.«
»Das ist gut«, sagte der Fremde befriedigt aufatmend, »das ist sehr gut, mein Herr. Ich hatte fast die Befürchtung gehegt, Sie wären nicht der, den ich suchte.«
Dem hatte ich nun nichts entgegenzuhalten, und so beschied ich mich, dem Manne zu folgen, der mich hastig von der Haustür wegzog. Er führte mich in ein kleines Nachtcafe, wo man ihn zu kennen schien, denn die Kellnerin grüßte höflich: »Guten Abend, Herr Kanalrat.« Sie brachte uns unaufgefordert zu einer Loge, die halb verdeckt von einem Glasperlenvorhang war.
Der kleine Mann, der seinen Mantel nicht ablegte, bestellte eine Flasche Bier und zog mit den Zähnen den Handschuh seiner freien Hand aus. Ich sah, daß sich zwischen seinen Fingern, die in scharfen Krallen endeten, Häute spannten, die bis zum dritten Glied reichten.
Er schenkte aus der Flasche in ein Glas und schob es mir hin. Er selbst trank nicht.
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, meinen Arm loszulassen?« fragte ich. »Ihr Griff ist außergewöhnlich schmerzhaft, Herr Kanalrat.«
Der Fremde gab mich hastig frei. »Entschuldigen Sie vielmals, aber ich tue das fast schon gewohnheitsmäßig«, entschuldigte er sich.
Ich trank einen Schluck und sah ihn fragend an.
»Sie wohnen«, begann der Fremde unsere Unterhaltung, »Sie wohnen im zweiten Stockwerk des Hauses Nr. 15.«
»Ganz recht.«
»Und Sie haben«, fuhr er fort, »Sie haben die Angewohnheit, nachts am Fenster zu sitzen und auf die Straße hinunter zu sehen. Würden Sie die ganz außerordentliche Freundlichkeit haben, mir nun mitzuteilen, was Sie da beobachten?«
»Nun«, erwiderte ich, »ich sehe eigentlich nur ein Stück des Gehsteiges, der meinem Hause gegenüber liegt. Dahinter erhebt sich eine Plakatwand und davor steht eine Litfaßsäule.« »Und was«, forschte mein Gegenüber, während seine gespaltene Zunge nervös zwischen seinen ungemein spitzigen, weißen Zähnen spielte, »und was ist an diesem Anblick so interessant, daß sie oft halbe Nächte damit verbringen, am Fenster zu sitzen und hinauszustarren?«
»Hauptsächlich der Umstand, daß manchmal Leute vorübergehen.« Der Fremde rückte nervös seine Brille zurecht. Trotz der dunklen Farbe der Gläser konnte ich seine Augen sehen; sie waren lidlos wie die eines Fisches und hatten runde, starrende Pupillen.
»Würde es nicht«, sagte er mit einer fast heftigen Eindringlichkeit, »würde es nicht für Sie, mein Herr, weitaus befriedigender sein, Ihre Beobachtungen am Tage vorzunehmen? Abgesehen davon, daß das Licht besser ist, hätten Sie doch auch eine reichere Auswahl an Studienobjekten.«
»Entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche, Herr Kanalrat, aber dieses, ich möchte fast sagen, banale Material interessiert mich nicht. Was mir so sonderbar und beachtenswert erscheint, ist etwas ganz anderes. Und ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, daß es eben das Vorkommen dieses anderen ist, dem ich die Ehre Ihrer Bekanntschaft verdanke.«
Es bereitete mir einen gewissen Genuß, seine Verlegenheit zu sehen. Er leckte sich wiederholt die farblosen Lippen, wobei seine zweigespaltene Zunge merkwürdige, flackernde Kapriolen schlug, und rieb sich mit einer Handfläche, die seltsamerweise behaart war, sein kurzes, knopfartiges Kinn.
»Welche besonderen Vorkommnisse«, brachte er endlich mühsam hervor, während sein Adamsapfel wild zuckte, »besonderen Vorkommnisse meinen Sie da, mein Herr?«
Sehr zufrieden mit der Wirkung meiner Worte lehnte ich mich zurück und nahm einen tiefen Schluck aus meinem Glas.
Dies war ein Traum, der sich sehr interessant anließ. »Nun«, sagte ich, den Bart wischend, »ich meine das Verschwinden mehrerer nächtlicher
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