Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Science Fiction aus Deutschland

Science Fiction aus Deutschland

Titel: Science Fiction aus Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Joachim Alpers und Ronald M. Hahn Hrsg.
Vom Netzwerk:
Passanten. Ich habe«, setzte ich nicht ohne gewissen Stolz auf die fast wissenschaftliche Akribie, mit der ich meine Beobachtungen getrieben hatte, hinzu, »im vergangenen Monat nicht weniger als neun Personen die Litfaßsäule vor meinem Fenster passieren sehen. Aber ›passieren‹ ist eigentlich nicht das richtige Wort. Ich sah sie hinter der Säule verschwinden, aber auf der anderen Seite nicht mehr auftauchen, so lange ich auch wartete.«
    Der Kanalrat hob ruckartig den Blick. Ich glaubte in seinen starren Fischaugen, die durch die dunkle Brille nur unvollkommen verborgen wurden, einen Blick der äußersten Verzweiflung zu entdecken.
    »Und was«, krächzte er mit halberstickter Stimme, während seine Hände einen massiven Aschenbecher aus Messing, der auf unserem Tisch stand, achtlos zerknüllten, »und was schließen Sie daraus?«
    »Daß die Litfaßsäule einen verborgenen Einstieg in das Kanalsystem unserer Stadt verbirgt.«
    »Aber warum glauben Sie«, fragte mein Gegenüber mit überschnappender, jedoch vorsichtig gedämpfter Stimme, den Aschenbecher in kleine Fetzchen zerreißend, dieses unglaubliche Kraftstück indessen ganz unbewußt – ich möchte fast sagen: geistesabwesend – vollführend. »Aber warum, glauben Sie, stiegen jene neun Leute durch die Litfaßsäule in das Kanalsystem?«
    »Darüber kann ich nur Vermutungen äußern«, versetzte ich nachdenklich.
    »Bitte«, sagte der Fremde, indem er seine, nach der gänzlichen Vernichtung des Aschenbechers wieder unbeschäftigten Hände konvulsivisch öffnete und schloß, »bitte«, sagte er mit ungemein eindringlicher Stimme, als ob sehr viel für ihn von meinen Worten abhängen würde, »bitte«, wiederholte er, »haben Sie die außerordentliche Güte, dies zu tun.«
    »Nun«, räusperte ich mich unbehaglich, denn es liegt mir nicht, halbe Vermutungen laut werden zu lassen, die ich selbst noch keineswegs als endgültige Lösungen anzusprechen bereit bin, »ich denke da an eine geheime Gesellschaft, die zu nächtlicher Stunde in den Wirrsalen der kaum erforschten Gänge und Kanäle unter der Altstadt ihr Wesen treibt. Vielleicht«, fuhr ich fort, indem ich beunruhigt dem Kanalrat zusah, wie er mit seinem ungemein scharfen Zeigefingernagel ein Loch in die Tischplatte bohrte, »handelt es sich um eine mystische Gesellschaft religiöser Schwärmer, die im Dunkel unter unseren Straßen seltsame Rituale pflegt.«
    Diese Worte hatten merkwürdigerweise die Wirkung, seine vorher so deutlich zur Schau getragenen Besorgnisse gänzlich zu zerstreuen.
    »Sie haben«, sagte er mit unterdrücktem Jubel in der Stimme, während ein Ausdruck unendlicher Erleichterung in seine fahlen Züge trat, »Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen!« Er ließ das Loch in der Tischplatte unvollendet und legte mir beide Arme auf die Schultern. »Nun wird es Sie«, fuhr er mit geheimnisvoll gesenkter Stimme fort, während sich seine scharfen Klauen fast schmerzhaft in mein Fleisch bohrten, »nun wird es Sie zweifelsohne überaus interessieren, wie jene geheimnisvollen Rituale beschaffen sind?«
    »Nun«, stammelte ich erschrocken, denn mir entging nicht der drohende Unterton, der in dieser Frage mitschwang, »nun, ich könnte mir vorstellen, daß dieser Gesellschaft keineswegs daran gelegen ist, einen Außenstehenden an ihren Versammlungen teilhaben zu lassen.«
    »Diese Vermutung«, entgegnete der Kanalrat, indem er mir mit unverständlicher Begeisterung Bier ins Glas nachschenkte, »diese Vermutung ist ebenfalls richtig. Nur gilt sie nicht für einen Mann wie Sie, mein Herr, dessen scharfe Beobachtungsgabe für unsere Gesellschaft von so ungemeinem Nutzen sein könnte, daß ich nicht umhin kann, Ihnen die Mitgliedschaft unserer Loge anzutragen.«
    Ich war geschmeichelt. Dennoch hegte ich einige Bedenken. Besonders in Hinblick auf die Absichten und Ziele dieser sonderbaren Gesellschaft, von denen ich fürchtete, daß sie meiner Weltanschauung vielleicht entgegengesetzt sein könnten.
    Nachdem der Kanalrat mir aber versichert hatte, daß diese Ziele durchwegs verfassungsgetreu wären und der Staatsreligion keineswegs opponierten, daß die Gesellschaft überdies vornehme Lebensart, weltmännische Sitten, die lauterste Moral und die feinsinnigste Geistigkeit auf ihr Banner geschrieben hätte, erklärte ich mich bereit, vorausgesetzt, daß ich mich dadurch zu nichts verpflichtete, mit meinem seltsamen Begleiter den Versammlungsort der geheimnisvollen Loge aufzusuchen, wo mir

Weitere Kostenlose Bücher