Science Fiction Jahrbuch 1983
wahren Smith – „Klassikern“ wie etwa „Drunkboat“). Doch dieses „Gesamtwerk-Erlebnis“ ist es wert, denn es gibt kaum ein anderes Universum in der SF, das so geschlossen, so farbig und so emotionell überschwenglich geschrieben ist wie das von Cordwainer Smith: eben keine „Future History“, sondern der Mythos einer fernen Zukunft, der uns schon jetzt zugänglich gemacht wurde.
Uwe Anton
Norman Spinrad
Champion Jack Barron
(BUG JACK BARRON)
MÜNCHEN 1982, MOEWIG-SF3562, ÜBERSETZUNG: JOACHIM KÖRBER
Jack Barron, Showmaster einer anklägerischen Investigationsshow in einem fiktiven Amerika, zynischer „Machtjunkie“, ehemaliger studentischer Revoluzzer aus Berkeley, verkauft sich als Repräsentant der „kleinen Leute“, der „schweigenden Masse“: In ihm haben sie ihr Sprachrohr. In seiner Show kann jeder, der sich ungerecht behandelt fühlt, auf den Putz hauen. Barron verkörpert einen lebenden Mythos: daß mediale Macht mit ökonomischer und politischer konkurrieren kann. Seine Macht sind die Einschaltquoten.
Dabei kennt er seine Grenzen genau: Je größer der Hecht am Pranger ist, desto genauer balanciert er zwischen Entlarvung und gleichzeitiger Rehabilitation. Er weiß auch sehr genau um die Achillesferse medialer Macht; bei ihr gibt es keine Rücklagen, kein aktives „flüssiges“ und kein passives „fixes“ Kapital als Hintergrund, sondern nur die aktuellen Einschaltquoten.
Mehr zufällig legt sich Barron mit Howards an, einem der mächtigsten Männer des Landes und Tiefkühlschlafmonopolist. Howards fürchtet Barrons negative Publicity, die ihm die geplante gesetzliche Sicherung seiner Vormachtstellung gefährdet. Er bietet Barron einen Tiefkühlplatz an, aber der riecht jetzt erst richtig Lunte. Howards scheitert vorläufig an Barron mit seinem Wahlspruch „Jeder Mann hat seinen Preis“. Barrons Preis aber ist die Unsterblichkeit. Und Howards kann diesen Preis zahlen … Die Handlungen mit ihren ganzen Verschlingungen und Winkelzügen nachzuerzählen wäre nicht möglich; sie ist so reichhaltig und subtil angelegt wie sonst nur selten im Genre der SF: eine präzise Physiognomie des Kampfes zwischen einem zynischen Machtjunkie mit romantisch-anfallartigen Reminiszenzen und einem paranoiden Machtjunkie, dessen Gier nach der Unsterblichkeit sein Machtkalkül immer wieder lähmt. Spinrads assoziative und collagierende Schreibtechnik ist ein gutes Medium für die Darstellung des auf Hochtouren laufenden Innenlebens der beiden zentralen Protagonisten.
Wer spannende Einblicke in die Spiegelkäfiglogik der Paranoia („Ich weiß, daß er weiß, daß ich weiß“ usw …), also in die Architektonik schwankender Macht gewinnen, wer wissen will, wie eine Frau zu ihrem Mann zurückkehren kann und sich aus der Vorspiegelung von Liebe wieder wirkliche Liebe entwickeln kann, sollte Spinrads Roman lesen. Wer etwas über die Achillesfersen von Zynikern und die Psychologie der Unsterblichkeitsgier, die Logik der Korruption und die Praktiken von Fernsehshows erfahren möchte, kommt an dem Roman nicht vorbei.
Abgesehen von einigen logistischen Schwächen und einigen allzu platten chauvinistischen Tiraden (die Spinrad auch noch ausgerechnet Sara, Barrons Frau, vorsingen läßt) ist sein Roman ein kompaktes, kluges und spannendes Stück gekonnter Unterhaltung. Keine Fata Morgana – eine wirkliche Oase in der Sahel-Zone der SF.
Übrigens: Wie könnte Spinrad in einem solch glänzenden Roman mit seiner zur Abfassungszeit (1969!) geradezu prophetischen Prognose von Reagan als einem der
Weitere Kostenlose Bücher