Science Fiction Jahrbuch 1983
geprägt von der bangen Frage, ob der Verfall der Gegenwart nicht bereits so weit fortgeschritten ist, daß sich an der bösen Zukunft gar nichts mehr ändern läßt. Nicht einmal mehr die Raumfahrer sind von der friedlichen Nutzung ihrer Technologie überzeugt. „Kosmonautentraum“, ein Stück der gleichnamigen Gruppe, ist eine düstere Klangcollage, die auch der schönen Zukunft im All die Hoffnung nimmt.
Umweltkrise, Rüstungswahnsinn, Angst ums nackte Überleben – das sind einige Schlagworte der neuen deutschen Musik. Mene mene tekel – das schrieb die Flammenhand einst an König Nebukadnezars Wand. Das Menetekel unserer Tage sieht anders aus. Die Gruppe Les Vampyrettes hat es ausformuliert und präsentiert es als gleichnamiges Stück auf einer ersten Maxi-Single. Hier der Text:
Die Schizophrenie, der Krebs des Geistes,
Schleicht durchs Gehirn, und niemand weiß es.
Der Irrsinn kriecht von West nach Osten,
Die Augen fangen an zu rosten.
Der Rost kriecht durch den kahlen Asten
Es wird Zeit. Wir müssen fasten.
Auf Wahnsinn und Verwirrungen
Folgen Verdammnis und Regierungen.
Auch hier passen musikalische Darbietung und Text ausgezeichnet zusammen. Die Maxi-Single von Les Vampyrettes ist bestimmt mit das Beste, was in jüngster Zeit entstanden ist. Noch mehr der Science Fiction verhaftet ist aber das zweite Stück der Single „ Biomutanten“:
Paß auf, wo du stehst
Paß auf, wo du gehst
Am Tag und in der Nacht
Überall wirst du bewacht.
In den Löchern, auf den Halden lauern seltsame Gestalten
Aus der Säure, aus dem Schrott
Aus dem Schleim und aus dem Kot
Wo Plastik und Plasma sich verbanden kriechen sie hervor, die Biomutanten.
Stücke wie diese sind im Grunde genommen musikalisch untermalte SF-Geschichten, die – literarisch aufgearbeitet – in jeder Science Fiction-Anthologie ihre Existenzberechtigung hätten. SF ist gefragter denn je, und auch an der Musik der Neuen Deutschen Welle sieht man deutlich, daß sie das beste Medium ist, vor Zukunftstrends zu warnen oder sich satirisch mit der Gegenwart auseinanderzusetzen. In dieser Hinsicht jedenfalls ist die NDW so originell wie schon lange keine Musikrichtung vorher mehr.
Doch nicht nur mit konventionellen Instrumenten läßt sich unkonventionelle Musik machen, auch die elektronische Musik – schon immer gerne als bevorzugtes Medium für Science Fiction-Thematik in der Rockmusik angesehen – steht dem bisherigen in nichts nach. Im Gegenteil, es ist sogar so, daß die Elektroniker bei weitem den frischesten Wind in die Szene gebracht haben.
Die Entwicklung der elektronischen Musik
Elektronische Musik wurde schon seit ihrem Aufkommen mit Erfindung des Synthesizers als typisch deutsche Musik angesehen, wofür in erster Linie Gruppen wie Tangerine Dream oder Komponisten wie Klaus Schulze sorgten. Doch die Zeiten, in denen deutsche Rockmusik etwas spöttisch mit „Krautrock“ abgetan wurde, sind längst vorbei.
Die „zweite elektronische Revolution“ hat stattgefunden, und wieder kam sie aus Deutschland, und die Elektroniker der Neuen Deutschen Welle genießen auch im Ausland größtes Ansehen, denn die englische und amerikanische Musikszene hat längst keine eigenen Trendsetter mehr.
Der Wandel von Zeiten und Gegebenheiten ist auch an der elektronischen Musik nicht spurlos vorübergegangen. Schwülstige Sphärenklänge und einschläfernde Monotonie bekommt man in der NDW nicht zu hören, denn die Wurzeln der neuen Elektronik liegen nicht bei Ash Ra Tempel oder der einstigen „Kosmischen Musik“. Sucht man nach den tatsächlichen Wurzeln, so stößt man wohl zwangsläufig auf die Gruppe Kraftwerk,
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